Die Theater im Netz – Accountleichen oder digitale Strategien?

blogparade_bildInszenierung, Bühne, (Selbst)Darstellung – in vielem bedienen sich Theater und Internet derselben Begrifflichkeiten. Und doch fremdeln Theater und Netz auch noch in der Spielsaison 2015/16.

Das zeigt zum einen die Querfeldein-Analyse der Berliner Kulturfritzen vom November letzten Jahres, aber auch die beiden Sessions beim Wiener stARTcamp im Dezember 2015 „#TheaterImNetz – Status quo und Ausblick“ und „Content Strategie“, die ich mit Marc Lippuner im MAK Wien gehalten habe. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch die jüngte Publikumsumfrage des Ungarischen Nationaltheaters, die sich mit der Frage beschäftigt hat, warum sich Menschen für den Besuch bestimmter Theaterstücke entscheiden. Die Ergebnisse wurden in der Dezember-Ausgabe des hauseigenen Magazins präsentiert: Die klassische Theaterkritik trägt demnach nicht dazu bei, ob ein Stück besucht wird, vielmehr entscheidet die persönliche Empfehlung – und soziale Netzwerke. Drucksorten? Uninteressant. Wie und wo Theaterhäuser kommunizieren, ist also nicht egal und in Zeiten von Informationsüberfluss und -überdruss muss im Theaterbereich gefragt werden: Auf welche Inszenierungen wird man überhaupt (noch) aufmerksam? Und: Ist die Website so userfreundlich, dass man Informationen rasch findet? 2015-02-23 08.42.09
Ein „digitales Weiterdenken“, wie es die Münchner Kulturkonsorten als Motto für ihr stARTcamp 2015 formuliert haben, und das im Museumsbereich längst als dringende Agenda (auch in Österreich) erkannt worden ist, muss auch im Theaterbereich Anstoß bekommen. Dies versucht die Blogparade #TheaterImNetz: Ideen will sie bündeln, Wünsche sondieren, aus Analysen lernen und Projekte, die Theater und Netz zu einer gelungenen Synthese zusammenbringen, „vor den Vorhang“ holen und natürlich Impulse geben, um ein „digitales Weiterdenken“ anzustoßen.

Der Status quo

Sämtliche Theaterhäuser im deutschsprachigen Raum haben die Kulturfritzen in Zusammenarbeit mit Michael Stacheder und Reinhard Widerin unter die Social-Media-Lupe genommen, mit dem Augenmerk auf folgenden Fragen: Welche Kanäle werden bespielt? Ist ein unmittelbares Ziel erkennbar? Wird Social Media als Marketing Tool verwendet oder ist es künstlerisches Stilmittel? Wird der Content automatisch befüllt? Zeigt der Online Auftritt in irgendeiner Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal?
Derzeit wird Social Media von den Theaterhäusern im deutschen Sprachraum vor allem als Tool zur Spielplankommunikation benutzt, und zwar von allen Theatern, die in sozialen Netzwerken vertreten sind. An zweiter Stelle stehen Backstage-Einblicke (in etwa 70%), gefolgt vom Livestream (in Österreich ausschließlich die Wiener Staatsoper, und vor allem in Deutschland ist es ein polarisierendes Thema) und Crowdfunding. Beim letzten Punkt haben zwei österreichische Kampagnen auf sich aufmerksam gemacht: das Lilarum Figurentheater und, wenn man den Theaterbegriff soweit spannen möchte, dass er auch Orchester umfasst, die Wiener Philharmoniker. In Deutschland hingegen scheint sich Crowdfunding ausschließlich auf die freie Szene zu beschränken und auch hier nur sehr spärlich eingesetzt zu werden.
Inszenierungen die eigens für das Netz geschaffen wurden und Produktionsprozesse, die im Netz aktiv begleitet werden, belegen den letzten Platz im Was-machen-die-Theater-im-Netz-Ranking. Beispiele gibt es hierfür nur wenige, wie das aufwändig produzierte Tagebuch eines Dramaturgen, die schon ältere Inszenierung von Effi Briest, die laufende Produktion von „Die Männerspielerin“, eine Kooperation der Berliner Kulturfritzen und Portfolio Inc oder der Blog des Festivals Musiktheatertage Wien, für das ich die digitale Kommunikation übernehmen durfte. Im weiteren Sinn lässt sich auch der Blog des Wiener Volkstheaters dazu zählen, dieser scheint sich allerdings mehr als digitaler Appendix des Magazins zu verstehen.

Alles gleich. Foto aus "Corporate Xu Zhen", Copyright: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
Alles gleich. Foto aus „Corporate Xu Zhen“, Copyright: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Auffällig in der Nutzung der Social Media Kanäle ist vor allem die Beliebigkeit. So fehlt beinahe allen Häusern im Netz eine wiedererkennbare Corporate Identity, weder Texte noch Fotos folgen einem bestimmten Schema. Das ist insofern unverständlich, da in den Drucksorten sehr wohl darauf geachtet wird. Ausnahmen gibt es vereinzelt: das Wiener Theater an der Gumpendorfer Straße spielt immer wieder mit ihrer Abkürzung TAG (wozu es auch Merchandising-Produkte gibt wie, z.B die Aufschrift „Scheiß TAG“ auf einem Regenschirm, oder „TatütatTAG“ auf einem Feuerzeug – diese Produkte werden übrigens auch charmant online beworben). Auch die Musiktheatertage Wien bespielen die sozialen Netzwerke mit einer Abwandlung des Festivalslogans „Eine Art Oper“, auf dem Blog schreiben die Intendanten „Tagebuch von eine (m) Art Director“, – eine Art roter Faden der durch das Festival führen soll – und das Spiel mit „Eine Art….“ zieht sich durch Print wie Online. Und sonst? Inter Burg Net? Nein? Eben.
Beliebigkeit ist auch das Hauptmerkmal des Contents des Gros der untersuchten Theaterhäuser. Holger Kurtz hat das im Beitrag „Praxis des digitalen Theatermarketings“ polemisch zusammengefasst: “Unsere neuen Plakate sind online” [Plakatbild]“ oder “Unsere Probe läuft auf Hochtouren”: [Backstagebild]“. Nun, wer findet sich wieder?

Das Ranking der Kanäle

Während eine mehr oder weniger gute Website auch im Theaterbereich schon Standard ist, verfügt zudem jedes Haus über einem Facebook-Account, genauso wie über einen YouTube Kanal. Vimeo findet hingegen eher in der freien Szene Anwendung. Twitter-Accounts sind zumeist angelegt (oft um den Namen zu reservieren), hier finden sich die meisten Accountleichen: entweder ist der Account komplett verwaist, oder aber wird als Linkschleuder benutzt, die automatisch Facebook-Einträge verlinkt, und dabei jeweils die ersten Worte des Facebook-Textes verwendet, egal ob sinnvoll oder nicht. Das wirkt nicht nur unprofessionell, spammt leider auch die Timelines zu – ein Schuss, der dann nach hinten losgeht. Instagram und Snapchat bilden das Schlusslicht der von den Theatern benutzten, gängigen Social Media Kanäle. Das Residenztheater in München dürfte derzeit überhaupt das einzige Theaterhaus im deutschsprachige Raum sein, das regelmäßig snapt.

Was wollen eigentlich die Theater?

Ressourcen ist vermutlich das häufigste Wort überhaupt, das im Kulturbereich im Zusammenhang mit Social Media genannt wird. Nicht Content, nicht mitarbeiterische Medienkompetenzen und schon gar nicht Strategie – sondern: Ressourcen. Keiner hat sie, alle wollen sie. So auch beim stARTcamp. Als jedoch plötzlich die Frage im Raum stand: „Warum seid ihr eigentlich auf Facebook? Welches Ziel verfolgt ihr mit euren Social Media Kanälen? Wen wollt ihr eigentlich erreichen?“ blickte man betreten zu Boden. Das Warum und Wieso steht also nicht zwingend vorm Anlegen eines Social Media Kanals, eher scheint, zumindest in Österreich zu gelten: „Schau ma mal, dann sehma schon.“ Die Session „Content Strategie“ in Wien hat vor allem gezeigt, es fehlt nicht (nur) an Ressourcen, sondern vor allem an einer nachhaltigen Strategie. Als eine der wenigen hat Ute Vogel vom Bühnlein brillant Strategie und Zahlen der Social Media Arbeit im Zuge des Proben zu „Morgen in Katar“ offen gelegt und zeigt: mit Plan und ein wenig Gespür kommt man weiter, auch bei geringem Budget.

Und was ist mit dem Publikum?

Was aber erwartet das Publikum vom Theater im Netz? Zu beobachten ist, das hat auch die Diskussionsrunde im Anschluss an die Sessions beim Wiener stARTcamp ergeben, ein verändertes Kundenverhalten: Zunehmend wird nicht mehr zum Hörer gegriffen, auch Mailanfragen werden weniger, wohingegen Fragen wie „Gibt es noch Karten für…“ oder aufführungsspezifische Fragen vermehrt auf Facebook und Twitter gestellt werden.
Spielpläne werden vom potentiellen Zuschauer seltener direkt von der Website selbst abgerufen, die Auswahl der Stücke erfolgt, nicht nur, aber eben auch, aus dem Timeline-Stream der sozialen Netzwerke. Auch Vereine wie die „Freunde des Residenztheaters“, die auf Twitter sehr aktiv sind und Facebook-Gruppen wie „Salon Burgtheater“, die von Zuschauern betrieben werden und an Fanclubs erinnern, tragen zur Wahrnehmung der Häuser und letztendlich zum Entscheid, eine Produktion zu besuchen, bei.
Im Falle von Spielplanänderungen oder kurzfristigen Änderungen in der Besetzung, Absage von Outdoor Veranstaltungen bei Schlechtwetter etc. erwartet sich der Zuschauer Information auf seinem Kanal. „Ich will“, wie es ein Besucher des stARTcamps und „Theater-Zuschauer“, bei der Session auf den Punkt bringt, „verstanden werden. Ich will, dass mich das Theater kennt.“

Ein digitales Hub als Steuerzentrale

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Dies allein soll den Theatern zu denken geben, den festen Häusern, der freien Szene. Das Digitale macht Veränderungen nicht möglich, es macht sie unabdingbar: in der Struktur, in den Hierarchien und nicht zuletzt in den Arbeitsabläufen selbst. Der „Kassamitarbeiter von-bis-Uhr“ ist Vergangenheit, Drucksorten dürfen einzigartiger werden – und weniger, Kooperationen dürfen vielfältiger werden. Es braucht Social Media ArbeiterInnen, die rasch Zugriff auf Informationen haben und diese ohne lange Freigabeprozesse weitergeben können, die kreativ künstlerische Prozesse begleiten dürfen, die nicht als schlecht bezahlte eierlegende Wollmilchfuzzi dem Theater einen digitalen Anstrich geben müssen, sondern als digitales Hub in einem abteilungsübergreifenden Team agieren dürfen. Nicht zuletzt braucht es auch Intendanten, die Social Media Ebenen schon mitdenken oder das Mitdenken anderer zulassen. Das Publikum hat sich längst mitverändert. Worauf warten die Theater noch?

 

4 Gedanken zu “Die Theater im Netz – Accountleichen oder digitale Strategien?

  1. Applaus, Applaus, Applaus!
    Ausgezeichneter Beitrag. Ein sehr richtiger Schritt, mal wirklich in die Analyse zu gehen, um belegen zu können, dass das ewig larmoyante „Ressourcen, Ressoucen“ nur vorgeschoben ist und es tatsächlich an Mut, Strategie und ganz offensichtlich Lust mangelt, sich in die digitale Welt zu bewegen. Interessant, dass an einigen Stellen das Publikum schon das Heft in die Hand nimmt. Warum nutzt man nicht einfach das mit? Tja, worauf wird gewartet?

  2. Ich schreibe hier mal zwei relativ aktuelle exemplarische Situationen auf.
    Im Spielzeitmagazin des Schauspiel Köln stand 2016 ein fabelhaftes Editorial vom Intendanten Stefan Bachmann, dass ich sehr gerne online geteil hätte. Der Text stand nicht mal auf der Website. Ich frug via Facebook an, ob man diesen Text nicht online stellen könne, er sei doch so großartig, den müssten mehr Menschen lesen. Keine Antwort. Ich versuchte es dann nochmal via Twitter, ebenfalls keine Reaktion. Tja.

    Vor wenigen Tagen erfuhr ich von dem Vorhaben Navid Kermani, eine Theaterreise durch Deutschland zu macht. Er besucht in sieben Städten vormittags Schulen und führt abends im jeweiligen Theater ein Gespräch, u. a. mit Olaf Scholz, Joschka Fischer, Norbert Lammert, Alfred Grosser. Alles unter den Thema“ Welt aus den Fugen – wie weiter nach Brexit, Terror, Trump und Aleppo.“ Also das, was uns alle im Moment umtreibt und bewegt. Fast alle Termine waren kurzerhand ausverkauft. Was für ein Geschenk, wenn ein kreativer Intellektueller mit Politikern, Soziologen, Philosophen über diese Fragen – mehr oder weiniger öffentlich nachdenkt. Was für eine Möglichkeit neben den schlimmen Fernseh Talkshows, in denen die immer Gleichen sitzen und die immer gleichen Phrasen von sich geben. Das schreit doch nach Live-Stream. Das Thalia Theater ist das einzige, das einen Stream ankündigt. Ich frug auf Facebook bei den anderen Häusern an und das Schauspiel Frankfurt war das einzige, was antwortete. (Sie streamen nicht)
    Wenn also Theater nicht bald ihre Kommunikation ändern, sich öffnen, endlich aus ihren dunklen Kästchen rauskommen, sehr ich schwarz, schwarz schwarz.

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