Planetary Health: Lippenbekenntnisse reichen nicht

Warum wir den Klimawandel noch immer nicht stoppen, obwohl wir so viel darüber wissen, wie AktivistInnen mit zivilem Ungehorsam die Erde retten möchten und was die Wissenschaft dazu zu sagen hat.

 

In Teilen Indiens hat es über 40 Grad während dieser Text entsteht. Während Sie ihn lesen, könnte die 50 Grad Marke in Neu Delhi überschritten sein. Sind diese Temperaturen im April in Südasien auch nichts Ungewöhnliches, brechen sie heuer viel früher über die Regionen herein. ExpertInnen sehen das als Warnung: Mit jeder Tonne CO2-Ausstoß eskaliert die Klimakrise weiter, die Politik indes kommt über Lippenbekenntnisse nicht hinaus. Mit welchen Mitteln ist die Welt noch zu retten? Darf, ja soll sich der Staat in individuelle Konsumentscheidungen einmischen, um Klimaziele zu erreichen? Was können Aktionen von zivilem Ungehorsam bewirken?

In sechs Neuerscheinungen auf dem Sachbuchmarkt nähern sich in diesem Frühjahr  die AutorInnen, WissenschafterInnen oder AktivistInnen zwischen 16 und 60 diesen Fragen mitunter rational, mitunter emotional aber stets leidenschaftlich für ihr Anliegen, die Erde noch bewohnbar zu halten und Gleichgesinnte für ihren Kampf zu gewinnen.

Fünf Extremwetterereignisse aus 2021 und ihre Opfer listet Marcus Wadsak in seinem jüngsten Buch “Letzte Generat!on” auf: der Tornado an der Grenze von Österreich zu Tschechien, 5 Tote; Hitzewelle in Kanada, 50 Tote; Hochwasser in Deutschland, 200 Tote; Waldbrände in Griechenland 1.000 Menschen auf der Flucht, Regenmassen in New York, 40 Tote. Extremwetterereignisse sind bereits Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels, mahnt der ORF-Meteorologe im Vorwort und Co-Autorin, „Fridays For Future“-Aktivistin Paula Dorten fragt: Wie zerbrochen muss diese Welt sein in der eine 16-Jährige wie sie ein Manifest schreibt, um ihre Zukunft zu retten?

Das Klimamanifest, das Marcus Wadsak und Paula Dorten im braumüller Verlag veröffentlicht haben, ist ein leicht lesbares Kompendium und vielleicht die klarste und einfachste Anleitung zur Klimarettung: In 10 Thesen fassen sie in Fakten (Wadsak) und Anekdoten (Dorten) den Status Quo der Klimakrise und Lösungswege zusammen. 

Die Wut, die Paula Dorten im “Klimamanifest” immer wieder formuliert, zum Beispiel als sie den Brandanschlag auf “ihr” Protest-Camp Hirschstetten zur Rettung der Lobau schildert, erlebt auch Pia Klemp. Bekannt wurde die 1983 geborene Autorin mehrerer Romane als Kapitänin der Iuventa und der Sea-Watch 3, über 5.000 Flüchtlinge hat sie im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet und wurde deshalb von Italien wegen “Beihilfe zur illegalen Migration” angeklagt. Wütend macht Pia Klemp nicht nur die Kriminalisierung von SeenotretterInnen: auch leergefischte Meere, abgeschlachtete Wale, Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtende, das weiße Patriarchat und – der Klimawandel treiben sie zur Weißglut. Wut ist für sie Kommunikationsmittel, ein Handlungsimpuls gegen gesellschaftliche Abgestumpftheit und Motor, um gegen Missstände aktiv zu werden. Mit ihrer flammenden “Wutschrift. Wände einreißen statt sie hochzugehen” (Penguin) versucht sie auf die konstruktive Seite ihrer Wut zu verweisen, die auch wir teilen sollen. Finden Sie es etwa gut, dass die Erde unbewohnbar wird? Na dann! In flotter Schreibe plädiert Klemp gegen Wegschauen und Lethargie.

Die Anklage gegen Kapitänin Klemp wurde mittlerweile fallen gelassen. Wie man als AktivistInnen gezielt Polizei und Verwaltung an ihre Grenzen treibt um solche Klagen zu erschweren, wissen Ende Gelände zu berichten. Das europaweite Bündnis gegen Kohle und Gas gehört neben Fridays for Future zu den präsentesten Gruppierungen der Klimagerechtigkeitsbewegungen und übt sich im zivilen Ungehorsam als Druckmittel für den Kohleausstieg. In “We shut shit down” (Nautilus), gibt das 2015 gegründete Bündnis Einblicke in seine Arbeit: Man möchte nicht nur eine Korrektur bestehender Politik durch die Aktionen herbeiführen, sondern auch “radikaldemokratische Utopien” vorleben. “We shut shit down” ist ein Handbuch für Klimaaktivismus, eine Einladung sich am Kampf für Klimagerechtigkeit zu beteiligen und ein beeindruckend ehrlicher Bericht in das durchaus nicht konfliktfreie Innenleben des Bündnisses und sein stetes Ringen um Kompromisse für die gemeinsame Sache, die Klimagerechtigkeit. Deutlich wird das im Kapitel zum Staat, in dem die sehr unterschiedlichen, teils extremen Haltungen der AktivistInnen offengelegt werden. Obwohl man sich weiter kämpferisch gibt, schreiben die AutorInnen von Ende Gelände nüchtern: Sei es zwar gelungen politischen Druck aufzubauen und gesellschaftliche Debatten anzustoßen, so wären realpolitische Erfolge bisher ausgeblieben. 

Wieso sind Staaten trotz greifbarer Bedrohung durch den Klimawandel nicht in der Lage sich verbindlich auf Emissionsreduktionsziele zu einigen? Eine “Politik des Unterlassens” ortet Ökonom und Politikwissenschafter Philipp Lepenies. In seiner jüngsten bei Suhrkamp erschienenen Analyse “Verbot und Verzicht” findet er die Gründe historisch im Neoliberalismus verwurzelt: Die Vorstellung habe sich durchgesetzt, so Lepenies, dass Verbote und staatliches Eingreifen in individuelle Konsumentscheidungen nicht legitim sind, auch wenn sie zum Wohle der Allgemeinheit dienten. Die Rhetorik der Reaktionären, würde sich mit (in sich absurden) Begriffen wie Ökodiktatur gegen Veränderung wehren und jede Sachdiskussion über die Steuerung von Politik über Verbote zu Erreichen der Klimaziele verhindern – eine Gefahr für die Demokratie: Die Gesellschaft verlernt den Kompromiss, die Politik unterlässt aus Sorge vor Protesten einiger weniger überlauter Stimmen ihre wichtigste Aufgabe in der Klimakrise, die umfassende Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise.

Von dieser (in Anlehnung an Karl Polanyi) großen Transformation schreiben auch Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch und ​​Martin Herrmann, Arzt und 

Vorstandsvorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug). Der 1960 geborene Lesch gilt als einer der besten Vermittler für Wissenschaft überhaupt, sein YouTube Kanal des ZDF ist nicht nur für die Fridays for Future Community Pflichtprogramm und dementsprechend freudig erwartet die junge Generation sein jüngstes Buch: “Sprung über den Abgrund” (Residenz). Im lebendigen Dialog mit Martin Herrmann, ergänzt durch auch für Laien verständliche Hintergrundinformationen, erfährt man anschaulich von konkreten Auswirkungen des Klimawandels auf die eigenen Gesundheit und Handlungsmöglichkeiten. Lesch und Herrmann wählen dabei die Metapher vom Intensivpatienten Erde, der Planet hat Fieber, die Regelkreise der Natur sind belastet, die Diagnose heißt Klimakrise, die Therapie ist die große Transformation: “Jeder kann ein Klimaaktivist sein, jede kann eine Spielerin sein. Und dazu gehört es eben auch, die Macht zu ergreifen.(…)  Nicht um über den anderen zu sein, sondern um mit den anderen diesen Weg zu gehen.”

Ein Fazit? Unser Konsumverhalten unsere Art zu leben ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig. Wir müssen uns einschränken, heißt es im Manifest von Wadsak und Dorten. Eine Debatte über Verbot und Verzicht ist überfällig, sagt Philipp Lepenies. Und Lesch und Herrmann schreiben: “Es wird nicht ein­fach, das wird teuer, aber es wird sich lohnen.” Wenn Sie die Zeitung weglegen, werden in Indien in Folge der Hitzewelle Müllberge brennen, Wasserquellen werden versiegt, Ernten vernichtet, die Gesundheit vieler bedroht sein. “Wer noch nicht wütend ist, hat noch nicht richtig aufgepasst”, heißt es bei Pia Klemp.

Der Text erschien im Frühjahr 2022 in BUCHKULTUR 203/3/2022

Bücherhinweis
Marcus Wadsak / Paula Dorten: Letzte Generation. Das Klimamanifest Braumüller
Ende GeländeWE SHUT SHIT DOWN, Nautilus
Philipp Lepenies Verbot und Verzicht Suhrkamp
Lesch/Herrmann Sprung über den Abgrund
Nadja Niemeyer: Gegenangriff, Diogenes
Pia Klemp Wutschrift. Wutschrift: Wände einreißen, anstatt sie hochzugehen Penguin

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