Glücksfund

Ein Tagebuch aus 1944 gibt Einblick in die Zwangsarbeit. Kurzrezension.

“Junge, Junge, was habe ich gut geschlafen. Es ist das Einzige, was es nicht auf Marken gibt”. Lakonisch, mitunter ironisch, so liest sich das Tagebuch von Jan Bazuin, das er wenige Tage nach der “Aktion Rostock” im November 1944 beginnt. Deutsche Soldaten riegeln Rotterdams Straßen ab, es wird geschossen. 52.000 Rotterdammer werden deportiert um für das Deutsche Reich Zwangsarbeit zu leisten. Der in Rotterdam lebende Jan Bazuin, 19 Jahre alt, ist nicht darunter. Noch nicht.

Das kürzlich entdeckte, nun bei C.H.Beck publizierte Tagebuch besteht aus drei Heften: Es berichtet vom Alltag im Hongerwinter 1944, später von Deportation und Zwangsarbeit in Neuaubing bei München und schließlich von der Flucht, wo das Tagebuch abbricht. Der Stil bleibt stets knapp. Je existenzieller die Erlebnisse, desto eindringlicher der Ton. Während der Hunger sich stillen lässt – Jan findet Arbeit unter anderem in der Lagerküche -, wird das Heimweh unerträglich. Immer wieder fragt er: Wird er die letzte Seite des Heftes in seiner Heimat schreiben? Und beginnt das nächste Heft fernab von zu Hause… Angereichert sind die Einträge mit einfühlsamen Illustrationen von Barbara Yelin, die Kombination von Text und Zeichnungen machen das Geschehen unheimlich präsent. Die Tagebücher sind seltenes Zeugnis von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus schreibt Historiker Moritz Rabe im Nachwort: ein Glücksfund. Auf Basis der Tagebücher launcht das NS-Dokuzentrum München eine App, die das Thema interaktiv vermitteln soll.

Der Text erschien in Buchkultur 200 | 1/2022
Bazuin, Jan
Tagebuch eines Zwangsarbeiters
Mit Illustrationen von Barbara Yelin,
Aus dem Niederländischen von Marianne Homberg
Hardcover
2022
144 S. mit ca. 40 farbigen Illustrationen.
C.H.BECK
App: https://medialepfade.org/projekt/departure-neuaubing/

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