Das Land der Mörder lieben?

Foto: Christine Miess
Foto: Christine Miess
Folter und Mord, Widerstand und Rebellion – in schweren Zeiten ist es nicht verkehrt einen Superhelden an der Seite zu haben. Gin Müllers „Fantomas Monster“ im brut ist eine bedrückende Geschichte, faszinierend erzählt.

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Jahr für Jahr fliegt Parastou Forouhar rund um den 21. November nach Teheran. An diesem Tag, 1998, wurden ihre Eltern im Wohnzimmer ihres Hauses an Stühle gebunden und ermordet, mit 22 Messerstichen der Vater, mit 24  die Mutter. Politische Motive liegen nahe: die Eltern waren Regimegegner, Aktivisten. „Fantomas Monster. Teil 1/Iran: Fantomas gegen die Macht der Auslöschung“ im brut erzählt von der Suche nach Wahrheit, von Folter und Mord, Widerstand und Rebellion – und auch von der Liebe zu einem zerrissenen, gespaltenen Land.
Die Suche nach den Mördern entspringt weniger dem Wunsch nach Rache als nach Gerechtigkeit – vor allem will die Exil-Iranerin aber eines: trauern dürfen. Und das wird ihr schwer gemacht. Eine öffentliche Trauerfeier ist zu vermeiden, überhaupt am Tatort, so der eindringliche „brüderliche Rat“ des Mullah. Die Zeremonie soll ja nicht von Gegnern des Systems als politisches Statement missbraucht werden. Oder? Oder?!
Mit Parastou Forouhar (Edwarda Gurrola)  reist das Publikum zum Tatort  nach Teheran,  „wo die Schmerzensschreie von den Wänden hallen“, begleitet sie auf den Friedhof, aufs Gericht. Und noch einer ist Begleiter: Fantomas. Der Superheld aus der Reiselektüre wird zum Freund, den man in Tagen wie diesen brauchen kann. Seine lästige Angewohnheit, beim Abflug Fensterscheiben zu zertrümmern – ein zarter Running Gag – , nimmt man da in Kauf. Superhelden gehen nicht durch die Tür.
Ausgeklügelt und faszinierend
Foto: Jan Machacek
Foto: Jan Machacek

Die Inszenierung von Gin Müller beruht auf den 2011 bei Herder erschienen Erinnerungen von Parastou Forouhar und verpackt sie in eine surreale Erzählung rund um den Comic-Helden – wie einst Julio Cortázars in „Fantomas gegen die multinationalen Vampire“. Der Comic ist formgebend: Eine Stimme aus dem Off erzählt. Die Bilder dazu entstehen im Spiel. Immer wieder halten die Schauspieler inne – Freeze! –, eine Kamera fängt den Moment ein – Klick! –, projiziert ihn in die Raster einer zweifrauhohen Holzkonstruktion. Kästchen um Kästchen, Seite um Seite. Und wenn Fantomas geht: Klirr! Das ausgeklügelte Spiel ist faszinierend, die Geschichte bedrückend. Fantomas aber gibt Hoffnung: „Man kann Regime stürzen. Es ist gefährlich, aber es geht.“ – Fantomas? „Fantomas war verschwunden. Schließlich war auf der Welt genug zu tun.“

27. Jänner bis 31 Jänner 2017
Der Text erschien im Jänner 2017 in: Die Furche

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