Der Aktionist als Märchenerzähler

Diana Brus mit ihrem Vater Günter Brus, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Diana Brus mit ihrem Vater Günter Brus,
Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Die Neue Galerie Graz zeigt erstmals Bücher, Bilder und Spiele, die Günter Brus für seine Tochter gestaltet hat, und verweist auf die einfühlsamen Seiten des Künstlers. „Schneckenhaus und Glitzerstein“ ist eine visuelle, surreale Traumwelt zum Eintauchen.

Sie können Kopfwehtabletten nicht leiden, brauchen aber trotzdem ab und an ein Mittelchen gegen Kopfschmerzen? Probieren Sie doch mal „Tablettopflast“ von Wladimir Nennemir und picken Sie sich Ihre Kopfwehtablette als Pflaster auf den Kopf! Wer hinter Wladimir Nennemir steckt? Gestatten, es ist Günter Brus, der Wiener Aktionist, bekannt durch die Uni-Ferkeleien mit Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener. Wir erinnern uns: Blut, Fäkalien, Bundeshymne. Am Ende der Geschichte stand das Berliner Exil für Brus, dem in Österreich nach dieser Aktion eine Haftstrafe gedroht hatte.

In diesem Interview spricht Günter Brus mit dem Profil über Selbstzerstörung und Wiener Aktionismus.

 

 

Diese zwei Seelen, den Märchenerzähler und den Aktionisten, bringt Kurator Roman Grabner in der aktuellen Ausstellung „Schneckenhaus und Glitzerstein. Märchenhaftes und Kinderleichtes von Günter Brus“ in der Neuen Galerie Graz zusammen.

Die Kinder zuerst

Gezeigt werden hier Werke, die eigentlich gar nie für die Veröffentlichung gedacht waren – sie waren Geschenke für seine Tochter Diana. Kurator Roman Grabner hat sie im Archiv entdeckt, Brus’ Frau hat dann die Schubladen geöffnet. Entstanden ist nun eine sinnliche Ausstellung, ein Zauberland, das Günter Brus von seiner einfühlsamen Seite zeigt. Die Ausstellung – und das macht sie einzigartig – ist für Kinder konzipiert. „Schneckenhaus und Glitzerstein“ zeigt zunächst den Brus, den wir kennen. Aktionismus wird am Beispiel des (heute) relativ harmlosen „Wiener Spaziergang“ erzählt:

 

Als Günter Brus ein junger Maler war, wollte er nicht das machen, was alle immer gemacht haben. Er wollte eine neue, lebendige Malerei. Also hat er sich selbst bemalt und ist als lebendes Bild durch die Straßen gegangen. Damals hat das keiner verstanden und die Leute haben nicht einmal darüber schmunzeln können.

Das Knurbel-Knobel-Buch von Wladimir Nennemir, 1978 Bleistift, Buntstift, Ölkreide und Collage auf Papier, 52 Seiten, je 29 x 21 cm Privatsammlung Credit: Max Wegscheidler/UMJ
Das Knurbel-Knobel-Buch von Wladimir Nennemir, 1978 C Max Wegscheidler/UMJ

 

Dieses Narrativ führt durch die Schau. Die Texttafeln sind auf der kindlichen Augenhöhe angebracht. Für das Kind, das nicht zu allen Vitrinen hinaufkommt oder den Erwachsenen, der sich nicht zu allen Schätzen hinunterbeugen mag, stehen Schemel bereit. Als Kind, so erzählt Brus in den Audiospuren, die man bei Soundcloud nachhören kann, als Kind hat er Märchen immer sehr realistisch empfunden, als existenziell und glaubwürdig. Für seine Tochter hat er diese Welt wieder aufleben lassen. „Büchlein für Diana“ hat er geschrieben und illustriert. Einen Flipper hat er ihr gebaut. Und unzählige Rätselbilder hat Günter Brus für sie entworfen. Jedes ein Kunstwerk.

Die Rätsel aus Wladimir Nennemirs Knurbel-Kobelbuch gibt es hier als PDF zum Download.

Natürlich hatte Papa Brus eigentlich andere Sachen zu tun. Und doch war er stets mit Begeisterung dabei, sich für seine Tochter Spiele auszudenken – und mit ihr zu „knurbeln“. Das Wort aus der Brus’schen Familiensprache zeigt, so öffentlich gemacht: die Ausstellung ist eine sehr intime, aber auch eine herzerwärmende. In allen Werken spürt man: das Mädchen Diana wurde sehr liebgehabt.

Eine verkehrte Welt

Der Fokus der Ausstellung, das ist offensichtlich, liegt auf dem (kindlichen) Erleben von Kunst. Zwar gibt es auch „richtige“ Erklärtexte – zum Beispiel die Hinweise auf Günter Brus’ Auseinandersetzung mit der Romantik, der Zeit der Märchen, die Einflüsse von „Des Knaben Wunderhorn“. Man kann den intellektuellen Zugang des Künstlers durchaus finden. Die Geschenke an Diana sind jedoch nicht nur ausgestellt.


Kurator Grabner hat das Museum auf den Kopf gestellt: Es gibt unzählige Repliken zum Anfassen und Spielen. Auf dem Boden, auf dem Bauch darf man im Museum kugeln und Kunst genießen. Man darf auf die (bepolsterten) Vitrinen klettern und Rätselbögen ausfüllen. Sich aus großen Trichtern Märchen erzählen lassen. Das Flippern ist ausdrücklich erlaubt, eine Schreibtafel für die Highscores hängt bereit. Manche Werke sind so groß gestaltet, dass auch die erwachsenen Ausstellungsbesucher sich klein fühlen. Wann haben Sie zuletzt mit Beinen und Seele gebaumelt? Wenn Sie nicht alle Bilder entschlüsseln können, fragen Sie doch Ihre Kinder. Oder nehmen Sie ein Tablettopflast.

Schneckenhaus und Glitzerstein. Märchenhaftes und Kidnerleichtes von Günter Brus
bis 5. März 2017, Neue Galerie Graz
www.museum-joanneum.at/neue-galerie-graz

Der Text erschien im Dezember 2016 in: Die Furche
Dieser Text ist Teil des Versuchs, eine Ausstellung auf mehreren Kanälen erzählen: Twitter (hier gehts zum Storify), Instagram und Snapchat, Facebook, Print und Blog. Mehr dazu in Kürze auf www.kulturfritzen.wordpress.com.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert