Die Erwartungshaltung ist stets eine große, wenn eine Nestroy-Inszenierung am Theaterspielplan steht, noch dazu unter neuer Leitung. Regisseurin Susanne Lietzow bringt „Zu ebener Erde und erster Stock“ in eine frische Fasson, frei nach dem Motto: Volkstheater Wien goes Telenovela.
Es scheint als ob Anna Badora mit der Lietzowschen Nestroy Inszenierung von „Zu ebener Erde und erster Stock“ dem alten Volkstheater-Stammpublikum, das beim ersten „Oasch“ auf der Bühne – huch, Tabubruch! – die Hand vor den Mund schlägt, in eben diesen kriechen hat wollen. Weniger Power geht eigentlich gar nicht.
Spiel und Gesang erreichen nicht einmal die ebene Erde, die Musik mit den beiden Wienmusik-Koryphäen Paul Skrepek von Kollegium Kalksburg und Martin Zrost von Trio Lepschi hätte Potenzial für den ersten Stock, kommt aber im übertragenen wie im eigentlichen Wortsinn aus der zugeteilten Kammer-Musik-Rolle nicht heraus. Sprachlich wird dem Publikum aus jedem Dorf ein Hund serviert: Im ersten Stock spricht man gepflegtes Schönbrunner-Deutsch, zu ebener Erde ein auf Fäkalausdrücke reduziertes Wienerisch, das auch innerhalb der Familie nicht uneinheitlicher akzentuiert sein könnte, das angenommene Kind spricht „Hochdeutsch“ statt „gschissn“, dazu mischen sich französische, polnische und ungarische Akzente, und das Glück ist ein Schweizer. Inhaltlich orientiert man sich an Nestroy und flicht das ungeschickt und sehr plump mit Wirtschaftskrise und Fiona-Swarovski-Zitat. 1835 plus 2008 ergibt nicht automatisch 2015, sondern vielemehr ein seltsames Brimborium aus zelebrierter Vielvölkerstaat-Nostalgie und möglicherweise einem Hauch Idee-Europa mit Theo Lingen-Ausstattung und Spekulanten-Kritik. Hä? Es gilt die Unschuldsvermutung, will man sich da noch beschwichtigen. Erbrochen wird ohnehin auf der Bühne.
Wie zu alledem aber die Anspielung mit den angekauften Grippemasken aus dem Jahre Schnee (achja da war mal was) passt, ist das Rätsel des Abends. Regisseurin Susanne Lietzow findet die Idee offensichtlich königlich. Im gesamten zweiten Teil des Stücks lässt sie das Ensemble ebendiese Masken tragend, hustend und spuckend über die Bühne kriechen, sodass man – ist´s Fluch oder Segen? – gar nichts mehr versteht. Richtigrichtig peinlich ist die Figur des Dieners Johann, der im Lauf der Handlung zum zweifelhaften Star avanciert und mit einem Couplet über Merkel, Faymann, Zäune, Gutmenschen und Homolobby sich vermutlich in manch reaktionäres Publikumsherz singt. Das flirrt in der Luft, wie eine Gesamtausgabe vertonter Jeanee-Kolumnen in Endlosschleife. Eine Zumutung! Satire ist doch etwas Zartes, Feines? Oder ist Fremdschämen die neue Katharsis?
Allemal beeindruckend ist, wie man innerhalb guter zwei Stunden das Werk eines großen Dramatikers so kaputt spielen kann. Telenovela-Potenzial, diagnostizierte der Berliner Gast dem Stück noch in der Pause und sprach ihm nach der Sichtung des Gesamtspektakels dieses letztendlich auch noch ab. Würde man Nestroy nicht besser kennen, man hielte ihn für den größten Vollpfosten aller Zeiten.
Der Text erschien im Dezember 2015 auf www.kulturwoche.at