„Antarktika – Entfremdung“ ist eine der letzten Ausstellungen in der Kunsthalle Wien unter Noch-Direktor Nikolaus Schafhausen. Sie präsentiert sich emotionslos kalt und stellt mehr Fragen, als sie beantwortet.
Es ist frostig. Was auf das eisige Winterwetter dieser Tage zutrifft, gilt in Wien auch für die Kunsthalle: Starr und unterkühlt präsentiert sich die Schau „Antarktika -Eine Ausstellung über Entfremdung“. Der Titel ist Programm, schlagen Sie den Mantel hoch und treten Sie ein.
Die Gruppenausstellung im Obergeschoß der Kunsthalle zeigt vorwiegend Foto-und Filmarbeiten. Den großen Überblick, die große gemeinsame Entfremdungsgeschichte gibt es nicht. Weiße Zwischenwände bilden Nischen, die Kunstwerke hängen darauf, dazwischen, dahinter, davor. Wer die Einsamkeit in der Menge sucht, ist hier richtig. „I Feel You“ heißt die überdimensionale Installation von Jan Hoeft, die dem Besucher zur Begrüßung ihr kaltes Mitgefühl aufdrängen möchte: Monoton drückt sie tintenschwarze Tränen aus der Fotografie und verteilt sie über ausdruckslose Gesichter vor steriler Reihenhauskulisse. Eine Rinne am unteren Bildrand fängt die Tränen auf, sammelt sie und drückt sie wieder hoch, effiziente Tristesse. Ist das entfremdend? Auf jeden Fall.
Vergletscherte Gesellschaft
Der Antarktis als Motiv und Metapher für eine „vergletscherte Gesellschaft“ bediente sich erstmals der Filmemacher Michelangelo Antonioni in den 1960ern: „Die Gletscher der Antarktis rücken jährlich drei Millimeter auf uns zu“, notierte der Regisseur in einer Skizze und prägte mit dem Gedanken eine Künstlergeneration. Das erklärt das Booklet, das die Ausstellung begleitet und sichert ihr so gleich einen Platz in der Kunstgeschichte.
Ist auch seit den 1960ern viel Schmelzwasser von den Gletschern getropft, das Bild der Gletscher für die Geschichte von der sozialen Kälte ist immer noch passend. Wie man davon erzählen möchte, ist eine andere Sache. Kunsthallen-Direktor Nikolaus Schafhausen und die Kuratorin Vanessa Joan Müller haben sich für das Fragmentarische entschieden.
Die Werke durchwegs internationaler Künstler ohne österreichische Präsenz reißen schlaglichtartig alle nur irgendwie möglichen Aspekte von Entfremdung an, das Booklet zitiert den Besucher durch die Philosophiegeschichte.
Die Entfremdung in der Arbeitswelt beispielsweise thematisiert die Videoarbeit „Crisis & Control“ von Burak Delier. Er lässt farblose Menschen in farblosen Bürohochhäusern yoga-verrenkt-entspannt von der Leistungsgesellschaft erzählen. Auf die Entfremdung im Familiengefüge verweisen die Porträts von Buck Ellison, er bedient sich dabei der Ästhetik von Werbebildern. Der Entfremdung durch Industrialisierung widmet sich Isabella Fürnkäs. In ihrer Videoarbeit „In Ekklesia“ wechseln sich unruhige Rave-Bilder mit Aufnahmen von Montage-Robotern ab. Und auch die Religion fehlt nicht im Entfremdungsreigen: Ingel Vaiklas porträtiert mit ihrem Film „Roosenberg“ den Alltag der vier letzten Ordensschwestern im Kloster „Roosenberg“ im belgischen Waasmunster.
Unheimlich kalt
Dem Werk, das der im Titel zitierten Antartkis am nächsten kommt, begegnet man erst am Ende des Rundgangs: „Iʼm Coming Home in Forty Days“ der in der Kunsthalle Wien schon oft gezeigten Künstler Jeroen de Rijke und Willem de Rooij umrundet einen Eisberg. Schön unspektakulär. Im Hintergrund begleiten den Besucher dadaistisch anmutende Laute: „A, ah, an, non, a nam“.
Hanne Lippards Soundinstallation spielt poetisch mit einem einzigen Wort. Wer zuhört versteht Anonymität. Jedes Schlaglicht in dieser Ausstellung beschreibt Entfremdung als paradoxen Zustand. Vertrautes zeigt sich plötzlich fremd, man gehört dazu und doch wieder nicht. „Antarktika“ ist ein gutes Bild dafür, die Kälte in der Kunsthalle ist unheimlich spürbar. Eine gutes Ende gibt es nicht. Die Philosphen im Booklet sind kein Trost. Wieviel Entfremdung kann ein Mensch überhaupt aushalten? Wie wird aus dem subjektiven Entfremdungsempfinden eine Gesellschaft, die soziale Kälte als normal ansieht? Kann man dem entgegentreten? Woran glaubt ein künstlerischer Leiter, der in seiner Rücktrittserklärung schreibt, dass er in Zeiten des Nationalismus die Wirkungsmächtigkeit von Kulturinstitutionen in Frage stellt? Und woran soll sein Publikum glauben, dem er so eine trostlose Ausstellung serviert? Vielleicht erzählt die Ausstellung zwischen den Zeilen auch von der Entfremdung eines Direktors von der Stadt, in der seine Kunsthalle stand? Die Ära Schafhausen geht mit März zu Ende. Jan Hoefts Installation weint zum Abschied schwarze Tränen. Man zieht den Mantelkragen höher und verschwindet im wintertrüben MuseumsQuartier. Wann es endlich taut? Vielleicht im März.
Antarktika bis 17. Februar 2019, Kunsthalle Wien www.kunsthallewien.at
Der Artikel erschien erstmals in: Die Furche Nr. 04 / 2019 vom 24.01.2019