„Ein Schuss, ein Treffer“

 
Amateurfotos von Wehrmachtsoldaten stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung im Volkskundemuseum, die verstörend und beklemmend Erinnerung wach hält.

Soldaten fotografieren während des Besuchs von Hitler und Mussolini in Uman/Ukraine am 28. August 1941;
Archiv Reiner Moneth, Norden
Soldaten fotografieren während des Besuchs von Hitler und Mussolini in Uman/Ukraine am 28. August 1941; Archiv Reiner Moneth, Norden

„So sieht es im blöden Russland aus“, „Hier schmeckt ein Huhn“,„Hier war Widerstand“ – lakonische Bildunterschriften wie diese kommentieren Fotos von Wehrmachtsoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen den Zeilen steht oft Unsicherheit, Angst, Verzweiflung – mitunter auch Stolz und Euphorie: „Der erste tote Pole“, „So wirkt eine deutsche Bombe“. Die Fotos zeigen Schießübungen, Marschkolonnen, Soldaten-Alltag, aber auch Landschaften und Sehenswürdigkeiten der besetzten Länder. Zu sehen sind diese Bilder als Teil der Ausstellung „Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg“ im Volkskundemuseum in Wien.

Die Ausstellung im beschaulich barocken Palais Schönborn scheint auf den ersten Blick harmlos: Fotos auf Wänden, Alben in Vitrinen, das Parkett knarzt. Harmlos ist hier aber nichts – auch wenn manche Soldaten mit den Bildern bei den Ihren diesen Anschein erwecken wollten: „Ich habe mich bemüht und auch daran gehalten meiner Mutter keine Bilder zu schicken, die ihr Angst machen könnten“, erzählt einer der Zeitzeugen, deren Videostatements die Fotos ergänzen und erklären.
Deutscher Soldat führt einen Kriegsgefangenen der französischen Kolonialtruppen vor; ohne Datierung, anonymer Fotograf; Münchner Stadtmuseum
Deutscher Soldat führt einen Kriegsgefangenen der französischen Kolonialtruppen vor; ohne Datierung, anonymer Fotograf; Münchner Stadtmuseum

„Es geht mir gut“, lacht auch ein Soldat mit dampfender Suppenschüssel von einem Werbeplakat für Fotomaterial. Animiert von Anzeigen der Filmindustrie nahmen die Männer ihre Kameras mit in den Krieg. „Frau Knipser schenkt nach langem Tasten / zu Weihnacht’ einen Fotokasten / Dem geliebten Ehemann (…).“ Der geliebte Ehemann gehörte dann zu den zirka zehn Prozent aller Deutschen, die zu dieser Zeit eine Fotokamera besaßen. Und wurde ihm die erste „von der Brust weggeschossen, so kauft er sich eben die zweite. Hauptsache eine Voigtländer“, plaudert ein anderes Plakat.

Fotografieren gefördert
Die Wehrmacht förderte das Fotografieren. Neben den Feldpostbriefen sollten die Bilder der Soldaten den Zusammenhalt zwischen Front und Heimat stärken. Der private Fotoapparat wurde zum Propagandainstrument, Fotografierverbote wie zum Beispiel bei Exekutionen wurden kaum kontrolliert. So finden sich im Fotoalbum dann auch „Highlights“ wie „Meine Hinrichtung“.
Konterkariert wurde die offizielle Propaganda durch den privaten Blick selten, vielmehr wurde versucht deren Ästhetik und Aussagen zu imitieren. Viele Soldaten überschritten im Krieg erstmals Landesgrenzen. Ihre Bilder offenbaren den überlegen-rassistischen Blick der NS-Ideologie: Ein verkleideter Wehrmachtsoldat macht sich vor polnischen Frauen über Polen lustig. Ein anderer präsentiert stolz einen „Neger“ – „Wenn Sie so aufgewachsen wären, hätten Sie wahrscheinlich ganz ähnlich gedacht“, sagt der Zeitzeuge.
Auch die Alben von Frauen – etwa eine halbe Million waren als Wehrmachtshelferinnen tätig –  werden in der Ausstellung berücksichtigt: „Kriegshilfsdienst 15. Oktober 1941 – 28. März 1942“, auf der ersten Seite lacht „die kleine Schaffnerin“ in die Kamera.
Der Stolz, mit dem die Uniformen zunächst getragen wurden, und die Begeisterung über den Krieg schwinden in den meisten Alben von Seite zu Seite. Die „Hier schmeckt ein Huhn“-Bilder weichen den „Hier ruhen die Gefallenen“. Nur die lakonischen Unterschriften erzählen von der Zerrissenheit zwischen dem Erleben und dem Präsentieren.
Schweres Erbe Alben
Die Ausstellung Fremde im Visier - Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg im Volkskundemuseum Wien © Kollektiv Fischka / Kramar
Die Ausstellung Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg im Volkskundemuseum Wien © Kollektiv Fischka / Kramar

Die Kriegsalben halten die Erinnerungen auch nach dem Tod der Zeitzeugen wach. Die Ausstellung im Volkskundemuseum, die schon in vielen Städten zu sehen war, erwuchs einem Forschungsprojekt, das diese Alben in einen historisch-politischen Kontext stellte. Die Forschungsarbeit zeigte auch: Die Alben sind ein schwer zu tragendes Erbe, das nicht zufällig auf Dachböden verbannt wurde. Das Volkskundemuseum lädt nun ein,  die eigenen Erinnerungen heraus zuholen und mit Experten unter die Lupe nehmen, Informationen dazu gibt die Museumswebseite.

Das letzte Blatt vieler Alben zeigt ein Bild des Soldaten mit der Familie. Bei vielen blieb die letzte Seite leer. „Ein Schuss – ein Treffer“, steht auf dem Plakat, das für eine Kleinbildkamera wirbt – ein Treffer in die Magengrube ist diese Ausstellung, der in diesen Tagen wachrütteln müsste.

 

Fremde im Visier. Fotoalben
aus dem Zweiten Weltkrieg
bis 19.2., Volkskundemuseum
Dienstag bis Sonntag, 10-17 Uhr
www.volkskundemuseum.at
Der Text erschien im Jänner 2017 in: Die Furche

 

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