Alpbach und Corona: Die Resilienz der digitalen Welt

Widerstandsfähigkeit ist eine zentrale Voraussetzung zur Bewältigung von Krisen. Unterstützt – oder untergräbt – die Digitalisierung diese Fähigkeit? Eindrücke von einer Debatte beim Europäischen Forum Alpbach 2020.

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Wenn wir resilienter werden wollen“, sagte Bundeskanzler­ Sebas­tian Kurz bei seiner groß angekündigten ­Rede am vergangenen Freitag, „dann müssen wir vor allem in der Digitalisierung stärker werden und Teile dieser stetig steigenden Wertschöpfung nach Österreich und Europa ziehen.“ Nach der Vollbremsung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus scheint die Investition in (noch) mehr Technologie und Digitalisierungsprozesse vernünftig zu sein, um die Zeit bis zur Entwicklung eines Impfstoffes – und darüber hinaus – zu überstehen.

Aber inwiefern ist es tatsächlich die Digitalisierung, die zu mehr Resilienz, also Belastbarkeit und Widerstandskraft der Gesellschaft in Krisenzeiten führt? Reicht es also, als Konsequenz der Pandemie in digitale Infrastruktur von Unternehmen, Cybersicherheit oder künstliche Intelligenzen zu inves­tieren? Oder gehört die Digitalisierung selbst zu den zentralen Belas­tungen des modernen Lebens?

Bildschirm statt Bergluft

Bei den Technologiegesprächen des Europäischen Forums Alpbach 2020 hat man sich dieser Frage gewidmet. „Resilience and Digital Future: Synergy or Discrepancy?“ lautete der Name des entsprechenden Panels – und anders als bisher wurde das Thema nicht nur auf der Metaebene bzw. auf der analogen Bühne im Tiroler Bergdorf verhandelt, sondern man steckte mittendrin: Debattiert wurde schließlich coronabedingt online – was gleich so manchen Moderator an die Grenzen der Belastbarkeit führte: Nicht nur mussten die teils via Video zugeschalteten, teils vor Ort befindlichen Expert(inn)en im Auge behalten werden, sondern auch die Chats, die am Bildschirmrand während der Veranstaltungen mitliefen und in denen teils auf fachlich hohem Niveau diskutiert wurde. Für die Teilnehmer(innen) bedeutete dies einen niederschwelligeren Zugang zu Alpbach-Inhalten, die sonst deutlich weniger leicht zugänglich sind – sowie durch die Chatfunktion samt Option des direkten Fragestellens auch ein Mehr an Partizipation. Doch diese Vorzüge hatten auch ihren Preis: Bildschirmzeit statt Bergluft; oder statt leibhaftig-zufälliger Gespräche über Gott und die Welt das Navigieren durch WhatsApp-Gruppen mit 57 Spezialisten für künstliche Intelligenz.

Das Interesse an Frankls Logotherapie und Existenzanalyse ist in den Tagen der Corona-Pandemie gestiegen – Katharina Ratheiser

„Das Leben ist immer fragil. Während eines Augenzwinkerns können sich die Dinge verändern, und nichts ist mehr so, wie wir es erwartet haben“, weiß Katharina Ratheiser, die gemeinsam mit (Zukunfts-)Forschern und Vertretern aus der Wirtschaft in Alp­bach über die Zusammenhänge von Resilienz und Digitalisierung nachdachte. Dabei erinnert die stellvertretende Direktorin des Viktor-Frankl-Zentrums an ihren Großvater, den berühmten Neurologen, Psychiater und Holocaust-Überlebenden: „Das Interesse an Frankls Logotherapie und Exis­tenzanalyse ist in den Tagen der Pandemie gestiegen“, so Ratheiser. Neu an der vorherrschenden Krise sei zwar, dass alle gleichzeitig derselben Krise gegenüberstünden; die Suche nach Sinn und Bedeutung, „The Search for Meaning“, bleibe aber eine individuelle Aufgabe jedes Einzelnen – auch und gerade in der digitalisierten Welt.

Wobei man in Sachen Digitalisierung schon weit fortgeschritten sei, behauptet der nicht unumstrittene Zukunftsforscher Matthias Horx: „Wir haben die Spitze dessen, was technologisch möglich ist, beinahe erreicht“, prophezeit er in Alpbach – und weist als positives Beispiel auf die Telemedizin als Ergänzung zum analogen Arztbesuch hin. Aber nicht alles,­ ­was digitalisierbar sei, erlebe der Mensch auch als sinnvoll, so Horx: „Wenn man in Smart Homes nicht einmal mehr die Vorhänge berühren muss, um sie zuzuziehen, dann übersiedle ich lieber ins Zelt.“

Phänomen „Zoom-Fatigue“

Es sei folglich kein Wunder gewesen, so Horx, dass während des Lockdowns mit seinem radikalen Digitalisierungsschwung auch analoge Tätigkeiten, wie Gärtnern, Brotbacken oder das von Messengerdiensten beinah verdrängte Telefongespräch mit Freunden und Familien wieder an Bedeutung gewonnen hätten. Die Vielzahl an Videokonferenzen während des Lockdowns hätte zudem bei vielen Menschen eine Zoom­-Fatigue erzeugt: eine Art chronische ­Müdigkeit, digitale Tools wie die Videokonferenzsoftware Zoom stundenlang zu nutzen.

Wie können aber zwei so gegenläufige Bewegungen – die Notwendigkeit von Digitalisierung auf der einen Seite und das Bedürfnis nach dem Sinn im analogen Leben auf der anderen – zusammenfinden? Kann technologische Entwicklung den menschlichen Bedürfnissen noch angepasst werden? Und ist ein gemeinsamer Weg von Mensch und Maschine der ­Königsweg zu einer resilienteren Gesellschaft? Besonders künstliche Intelligenz (KI) als Schlüsseltechnologie der nächsten Jahre wird unsere Belastbarkeitsgrenzen auf die Probe stellen, sind sich die Experten in Alpbach einig: Wobei die Forschung und Entwicklung an KI nicht nur von wissenschaftlichen, sondern auch von politischen Ambitionen getrieben und von großen Hoffnungen oder Ängsten begleitet wird.

Mensch-Maschine-Tandem

Gabriele Kotsis, Präsidentin der Association for Computing Machinery (ACM) sowie Informatikerin an der Linzer Kepler-Universität, plädiert deshalb dafür, die Aufmerksamkeit in der weiteren Entwicklung auf die jeweiligen Stärken von Mensch und Maschine zu richten. Kotsis kann sich in puncto KI letztlich eine Teamlösung vorstellen: eine Art Mensch-Maschine-Tandem. Eine künstliche Intelligenz, die sich selbstständig und proaktiv verhalte und menschliche Fähigkeiten wie Neugierde entwickeln könne, sei aber noch länger nicht in Sicht.

pexels-tara-winstead-8386440„Nutzen und beherrschen“, mahnt in diesem Punkt auch Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien. „Wir sollten entscheiden, wie wir diese Werkzeuge nutzen“, meint Bast – und verweist auf die ethischen und sozialen Fragen, die technologischer Innovation zugrunde liegen müssten.

Was wird es also bedeuten, künftig mit einer solchen Form der Intelligenz zu leben und zu arbeiten? Wie resilient und wie digital werden wir aus der Coronakrise hervorgehen? Auf dem digitalen Alpbacher Podium ist man sich einig: Die Welt nach der Pandemie wird auf die spezifischen Bedürfnisse der Menschen zu achten haben, die ihr Lebensumfeld in einer real-digitalen Synergie gestalten müssen. Dazu braucht es neben den besagten Investitionen in digitale Sicherheit und Infrastruktur freilich auch klare Gesetze, die den digitalen Raum regeln.

Bleibt die Frage, welchen Sinn, welche Bedeutung diese belastende Pandemie in Zukunft für die Gesellschaft haben wird. Katharina Ratheiser findet einmal mehr eine Antwort in der Gedankenwelt ihres Großvaters Viktor Frankl, die auf die Notwendigkeit heutigen Handelns verweist: „Die Bedeutung, die die Krise eines Tages haben soll, müssen wir ihr jetzt geben.

 

 

Der Artikel erschien erstmals in: Die Furche vom 03.09.2020 verfasst von Anne Aschenbrenner 

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