Zwischen daheim und zu Hause

Sunbengsitting – die Kritik

Foto: Florian Rainer
Foto: Florian Rainer

Intim ist das Thema des Freischwimmer Festivals das im Herbst 2014 durch vier Städte im DACH Raum tourt. Die gezeigten Produktionen sind allesamt von den KünstlerInnen eigens für das Festival konzeptioniert und mit Hilfe der beteiligten Häuser entwickelt worden.

Gemeinsam mit Beermans Strip Naked hat SunBengSitting von Simon Mayer und Pascal Holper das Festival in Wien eröffnet.
Mit dem Publikum intim wird Simon Mayer auf ganz spezielle Weise: er dreht gleich einmal das Licht ab. Oder besser gesagt: er dreht es gar nicht erst auf. Eine gefühlte Ewigkeit ist es dunkel zu Beginn der Performance, ein Gezwitscher, ein Geraschel , ein Gejodel ,ein Gewisper und Geseufze schwirrt durch den Raum, im ganz, ganz leichten Dämmerlicht sieht man schließlich einen Menschen – Simon Mayer? – nackt auf der Bühne umher galoppieren. Das Crescendo der Geräusche, das sich in der Finsternis zu einem Riesenkrach auswächst und in einem Tumult aus ohrenbetäubenden Lärm gipfelt wird durch einen Peitschenknall abrupt beendet: es werde Licht. Da ist dann auch tatsächlich Simon Mayer auf der Bühne, nackt, wie Gott oder wer auch immer ihn schuf.
Durch diese niemals enden wollende Dunkelheit schafft Simon Mayer gleich zu Beginn einen Raum, eine Verbindung, zwischen ihm und dem einzelnen Zuschauer. Gefühl und Geruch (zuerst Räucherstäbchen, dann Holz) öffnen eine Welt, in die niemand anderer Zutritt hat als derjenige in dessen Kopf sie jeweils entsteht: die Phantasie. Eine Geschichte die keine lineare sein wird, entwickelt sich im Lauf des Abends, eine Geschichte, die aus nichts anderem bestehen muss, als aus den Assoziationen der ZuschauerInnen, die, durch die lange Dunkelheit zu Anfang in ihrer Wahrnehmung geschärft, mit dem konfrontiert werden, was Simon Mayer auf der Bühne tut: er ist nackt, er springt, tanzt, jodelt. Was sich banal anhört entpuppt sich jedoch als eine einzige atemlose Bewegung, ein wirbelnder Körper im Nichts. Simon Mayer, ein bärtiger Mann mit Lockenkopf wird zur lebendigen Beatbox: auf nackter Haut schuhplattelt er im Kreis springend, viertelstundenweise ohne Pause, sein Atem und das Geräusch der nackten Füße auf dem Theaterboden geben den Rhythmus vor.

Die Nacktheit auf der Bühne ist kein vordergründiges Thema, nach einigen Minuten es fällt gar nicht mehr auf. Die Nacktheit hat aber dennoch eine zentrale Funktion, gleichermaßen als Partnerin, als Alter Ego, ermöglicht sie Klischees zu abstrahieren und von Vorurteilen zu befreien. Die Musik, vor allem Jodeleien und dazwischen auch Gesang und Geige, gibt eine ganz klare Denkrichtung: Volkstümliches ist es, das Mayer präsentiert und es gelingt ihm, vor allem durch die Nacktheit Blut und Boden, Kitsch und Klatsch keine einzige Sekunde in die Performance zu lassen. Auch dann nicht, als plötzlich sehr symbolbeladene Gegenständen in die Performance dringen: Baumstämme, Sägen, Rinderpeitschen agieren und unterstreichen: zurück zum Ursprung? Der volkstümelnde Wahnsinn der Unterhaltungsindustrie wird mit einem einzigen Zug weggewischt: Es ist, als ob Helene Fischer und Andreas Gabalier nie existiert hätten.
Simon Mayer erzeugt den Bezug zu einer Tradition, die man nie gelebt hat, den Bezug zu einer Vergangenheit, mit der man nie verbunden war. Heimat wird plötzlich zu einem Begriff der ohne nationalistische Konnotation auskommt und ohne einem konstruierten feindlichen Fremden gedacht werden darf. Für 90 Minuten wird Heimat zu einem Gefühl, das man als Österreicher empfinden kann, ohne auf der Stelle erbrechen zu müssen. Der prinzipielle Hang zum Grausamen, der in Österreichs Kellern schlummert, wird dabei aber nicht unbedingt ausgeklammert: altes Liedgut transportiert uns das – wenn es auch nur der Bauernbursch ist, von dem ein heiteres Lied erzählt. Beim Edelweiß-Pflücken für seine Geliebte stürzt er unglücklich den Hang hinab, sein Gehirn verteilt sich nach dem Aufprall auf dem Felsen über die Alpen verteilt und sein Gedärm verfängt sich schließlich in einem Baum. Das Edelweiß hält der zerschellte entstellte Tote dann freilich fest in der Hand – eben doch: treu bis in den Tod.

Foto: Florian Rainer
Foto: Florian Rainer

Das Heimweh, dem Mayer in der ersten Hälfte der Performance versucht hat davonzugaloppieren, holt ihn dann offensichtlich doch noch ein, – dazu braucht es Gegenstände, dazu braucht es Narration. Dazu braucht es eine Sunbeng.
Sunbeng ist oberösterreichisch für das was die Wiener gemeinhin als Sonnenbankerl bezeichnen: die Bank in der Sonne. Mit der global-englischen Ergänzung im Titel weist Mayer schon hin worauf er am Ende hinaus will: ausrasten am Sonnenbankerl. Dass die Performance dadurch in zwei Teile zerissen wird, nimmt der Künstler in Kauf, den Zuschauer irritiert der übergangslose Wechsel ins Narrative. Mayer geht ab, ein Baumstamm tritt auf und übernimmt die Hauptrolle. An ihm arbeitet sich der Künstler ab, ihn richtet er zu, an der rot geklatschten Schenkel statt, bis der Stamm die Form hat, für die er gewachsen scheint: das Bankerl in der Sonne. Immer noch nackt werkt Simon Meyer auf der Bühne und führt so alle Klischees vom heimwerkenden Hipster über den unfähigen Städter bis zum ländlichen Lagerhaus-Fetischisten ad absurdum. Das Sonnenbankerl wird zum Substitut der Gefühle.

Identitätssuche gipfelt in einem schal schmeckenden Kompromiss in Form eines kleinbürgerlichen Arrangements aus Sonnenbankerl, Öllampe, Schnittlauchtopf und einem Gartenzaun aus Sägespäne.

Der heftige Kontrast zwischen den beiden Teilen erzeugt eine Leere, man könnte auch sagen: der zweite Teil steht dem ersten ein wenig im Wege. Intim war anders.
Zu ausgeklügelt, zu perfekt ist die Performance von Mayer jedoch, als dass die Dissonanz ein Irrtum sein kann: zerrissen ist, was vielleicht von Anfang zu zerreißen bestimmt war, missglückt der Spagat zwischen Daheim und zu Hause.
Am Ende gilt was Mayer während der Performance in einer Gesangseinlage vorweg nimmt: „Schmeißens mi ausse, dann geh i halt hoam. Dann geh i ins Bett – aber gfrein tuats mi net.“

Trailer

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