Wien: Inspiration und Einnahmequelle

Foto: Anne Aschenbrenner
Foto: Anne Aschenbrenner

Alltag, Kunst und Politik verwebt die Ausstellung „O. R. Schatz & Carry Hauser“ im Wien Museum und beleuchtet anhand der Biografien und Werke der beiden Wiener Maler ein Stück Stadt-Geschichte – kulturhistorisch interessant und charmant gestaltet.

Der Ballonverkäufer, 1929, Otto Rudolf Schatz, Belvedere, Wien
Der Ballonverkäufer, 1929, Otto Rudolf Schatz, Belvedere, Wien

Von Ottakring bis Meidling sind die Werke von O. R. Schatz und Carry Hauser Wiener Alltag – Fassaden von Gemeindebauten, Volkshochschulen und das Mosaik im Theresienbad haben die beiden im Rahmen des Kulturförderungsprojekts der Nachkriegszeit gestaltet. Bewusst wahrgenommen und rezipiert werden beide Künstler jedoch wenig. Daran konnte auch die Ausstellung „Wien – Berlin“, die 2014 im Belvedere stattfand, nichts ändern – der „Ballonverkäufer“ von Schatz zierte immerhin damals den Ausstellungskatalog – wie er nun auch Aufhänger der aktuellen Schau im Wien Museum ist.
„O. R. Schatz & Carry Hauser“ holt aber nicht (nur) vergessene Maler aus dem Keller, sondern zeigt vielmehr, dass sich in den Werken der beiden Künstler Wiener Kulturgeschichte manifestiert, und legt mit dem Blick auf die Biografien ein ganzes Potpourri an Strömungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts frei. Der Untertitel „Zeitalter der Extreme“ – in Anlehnung an Eric Hobsbawms „The Age of Extremes“ – deutet die weit auseinanderstehenden politischen Positionen der beiden Künstler an, die Kurator Ralph Gleis als „konstruktive Konfrontation“ gegenüberstellt.
Geboren in Wien, Otto Rudolf Schatz 1900, Carl Maria „Carry“ Hauser 1895, ziehen sie wie viele andere freiwillig in den Ersten Weltkrieg – und kehren traumatisiert zurück. Beide absolvieren, durch Altersunterschied und Krieg zeitversetzt, ihre Ausbildung an der Kunstgewerbeschule, beide versuchen sich in verschiedenen Stilen, wohl beide träumen in die Fußstapfen eines 1918 früh verstorbenen Schiele zu treten, beide begeben sich unter die Fittiche von Schieles Förderer Arthur Rössler.
Biografische und ästhetische Parallelen

Lisl Goldarbeiter – Miss Universe 1929 Carry Hauser, Privatbesitz
Lisl Goldarbeiter – Miss Universe 1929
Carry Hauser, Privatbesitz

Ideologisch trennen sich ihre Wege zunehmend. Den einen, Hauser, verschlägt es auf die Seite der Konservativen, der andere, Schatz, wird glühender Sozialdemokrat und Arbeitermaler. Berührungspunkte finden sich dennoch immer wieder. Beide sind Mitglieder des Hagenbundes, beide arbeiten sich an gängigen Motiven (Großstadt) ab, beide schaffen in der Neuen Sachlichkeit ihre beeindruckendsten Werke, beide werden unter den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt, beide emigrieren, mit jüdischen Frauen verheiratet in den 1930ern ins Ausland, beide verarbeiten ihre Emigration in ihrer Arbeit, beide kehren zurück. Wien bleibt zeitlebens nicht nur Geburtsstadt, sondern wird auch Auftraggeber, Einnahmequelle und Inspiration.

Derart chronologisch geht auch die Ausstellung vor: Hängen zunächst – „Im Schatten des Krieges“ – die Werke beider Künstler zusammen, so führt die Schau den Besucher alsbald auf getrennte Wege, der eine links, der andere rechts. Die Werke des jeweils anderen bleiben stets sichtbar. Wo es thematisch passt, „schummelt“ sich ein Schatz zwischen die Hauser-Werke oder ist ein Hauser bei Schatz zu finden. Die Bildbeschriftungen sind durchgehend an der Sesselleiste angebracht, sie führen den Zuschauer durch Zeit und Werke, machen ästhetische Parallelen deutlich.

 

Otto Rudolf Schatz, Gemeindebau Pfenninggeldgasse, 1160 Wien, 1955–1957, Foto: Klaus Pichler
Otto Rudolf Schatz, Gemeindebau Pfenninggeldgasse, 1160 Wien, 1955–1957, Foto: Klaus Pichler

Es ist der Blickwinkel, den man als Besucher immer wieder verändern muss: vom Werk zur Beschriftung, vom sozialdemokratischen Lager ins christlich-soziale, von der Hoffnung in die Aussichtslosigkeit, von Wien in die Emigration. Der rote Faden sind die Biografien, der historische Kontext bildet den Rahmen. So entsteht ein umfangreiches Stück Stadt-Geschichte, das den Wechsel politischer Sys­teme aus Künstlerperspektive erleben lässt und gleichzeitig das Verhältnis von Kunst und Politik hinterfragt: Drei Millionen Schilling hat Wien in der Nachkriegszeit jährlich in „Kunst am Bau“ investiert, viele Projekte wurden an Schatz und Hauser vergeben. Zeitschriften wie Lehrmaterialien illustrierten die beiden im staatlichen Auftrag. Das Aufzeigen der unscharfen Grenze zur Propaganda macht die Schau sehenswert. Obendrein kokettiert sie mit dem 50er-Jahre-Charme des Hauses und bereitet so besonderes Vergnügen. Der Katalog zur Ausstellung tut selbiges. Empfehlung!

O. R. Schatz & Carry Hauser
bis 16. Mai, Wien Museum
Di-So und Feiertag 10-18 Uhr
www.wienmuseum.at

Der Text erschien im März 2016 in: Die Furche

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