Skurril, symbolisch: Meyerowitz’ Momente

Seine Bilder sind Ikonen, er selbst schon eine Legende: Eine Retrospektive im Kunst Haus Wien würdigt Joel Meyerowitz’ sehenswertes Werk.

Wer kann, flieht dieser Tage ins Museum: Viele Häuser locken mit klimatisierten Ausstellungsräumen, das mumok bietet schon Führungen mit kühlen Drinks an. Auch das Kunst Haus Wien meint es gut mit seinen Besuchern, die aktuelle Schau „Joel Meyerowitz“ ist so gut gekühlt, dass man sich beinahe nach der Hitze sehnt – ein dezenter Schal kann beim Besuch nicht schaden. Warm ums Herz wird einem bei der beeindruckenden Ausstellung aber ohnehin. „Joel Meyerowitz“  ist eine Reise durch die Straßen New Yorks und europäischer Städte, genauso wie durch einen Teil (Fotografie-)Geschichte, vor allem aber eine Reise durch Licht und Raum – und das ist weit weniger kitschig, als es sich anhört.

Florida 1965 c Joel Meyerowitz Courtesy Howard Greenberg Gallery
Florida 1965, c Joel Meyerowitz, Courtesy Howard Greenberg Gallery

Vom Gewurl der Straßen ans Meer 

Chronologisch beginnt der Streifzug auf  zwei Geschoßen des Kunst Hauses in Meyerowitz’ New York der 1960er Jahre. Aus der Werbung kommend, im Medium der Photographie Erfüllung findend, hat Meyerowitz da begonnen, wo er herkommt: auf den Straßen der Bronx, um dann nach Europa weiter zu ziehen. Seine Eigenart, aus dem Handgelenk und aus dem fahrenden Auto zu fotografieren, bringt ihm bald eine Schau im Museum of Modern Art in New York ein und macht ihn heute zum wichtigsten Vertreter der Street Photography.

Es sind skurrile Momente und symbolische, die er festhält: eine Frau im Supermarkt mit dem Neugeborenen im Arm, als hätte sie es gerade der Tiefkühltruhe entnommen und nicht selbst geboren, ein Bub, der mit der einen Hand ein Baby liebevoll tätschelt, die andere Hand mit dem Colt lässig an den Kinderwagen gelehnt. Immer wieder fotografiert Meyerowitz Menschen auf Paraden: die Paraden selbst, sie sind nie zu sehen, nur die interagierenden Menschen, die staunenden, die ehrfürchtigen, die neugierigen. Der Betrachter heute wähnt sich mitten im Damals, das eigentliche Geschehen im Rücken, und fast meint man, wenn man sich nur rasch genug umdreht, die wehende amerikanische Fahne noch wahrzunehmen, vor der der Mann auf dem Bild den Hut zieht.

New York City 1963 c Joel Meyerowitz Courtesy Howard Greenberg Gallery
New York City 1963, c Joel Meyerowitz, Courtesy Howard Greenberg Gallery

Es sind Arrangements aus Momenten, wie sie das Leben bringt, die sich verflüchtigen, kaum dass man sie bewusst wahrgenommen hat: Meyerowitz fängt sie ein. Beim Streunen durch seine Bilder bekommt man ein Gefühl für die kleinen Dinge, dem Lebenshungrigen schaut man über die Schulter. Später – und das ist der zweite Teil der Ausstellung – werden Bilder und Künstler ruhiger: Weg vom Gewurl der Straßen, hin ans Meer. Eine Plattenkamera, aus demselben Jahrgang wie er selbst, 1938, lehrt ihm Ruhe und Gelassenheit. Auch in diese Bilder kann man eintauchen, sich an den Strand stellen, wo   Fotograf und Kamera längst eins geworden sind.

Immer wieder weist Meyerowitz auf Symmetrien hin, findet Gleiches, und macht Antithesen zur Serie. Der Rahmen am Ende ist ihm wichtig und der (neue) Kontext, den er bildet.

Bis auf die Sekunde genau

Auf die damals noch unübliche Farbfotografie, die ihm mehr Raum zu erzählen lässt, pocht er. Wie recht er hat, davon zeugen trotzige Bilder, die motivgleich in Schwarz-Weiß und Farbe im Kunst Haus nebeneinander hängen: Wer das scheußliche Muster des pyjamaähnlichen Zweiteilers des Mannes aus Florida in Farbe gesehen hat, wird Meyerowitz beipflichten.

Der Fotograf experimentiert, penible Notizen zur Lichtstimmung helfen ihm nicht nur beim Entwickeln der Filme, sondern schon beim Fotografieren: Die Lichtsituation an vertrauten Plätzen kennt er bis auf die Sekunde genau: „Hier an dieser Ecke bleiben uns noch 20 Sekunden, dann ist das Licht weg. Wir müssen weiter“, sagt er zu Ralph Goertz, dessen sehenswertes Videoporträt  des Künstlers in der Schau gezeigt wird.

Angesichts des umfangreichen Werks wurde auf vieles verzichtet, die Auswahl ist gut getroffen. Der Bildband mit den Fotos von Ground Zero – Meyerowitz ist bisher der einzige zugelassene Fotograf – liegt am Ende der Ausstellung neben „A Summer’ s Day“. Und das ist die Essenz aus Meyerowitz’ Arbeit: das Leben einfangen mit allen Facetten.

Joel Meyerowitz, Foto von Eva Kelety
Joel Meyerowitz, Foto von Eva Kelety

Dieser Text erschien im August 2015 in Die Furche.

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