Shakespeare schadet. Nicht.

Foto: Wiener Klassenzimmertheater
Foto: Wiener Klassenzimmertheater

Die Aufregung, die eine Shakespeare-Inszenierung im vergangenen Jahr in der Wiener Schulverwaltung ausgelöst hat, hat sich mittlerweile gelegt. Das Wiener Klassenzimmertheater darf „Hamlet Generation XYZ“ auch im Shakespeare-Jahr – am 23. April jährte sich sein Todestag zum 400. Mal – zeigen. Für Jugendliche eine empfehlenswerte Bearbeitung.

hamlet07Der Todestag – der von Hamlet – ist es auch mit dem das Stück beginnt. Ophelia (rotzfrech: Dinah Pannos) schildert die Geschichte ihres Freundes Hamlet (überzeugend pubertär Thomas Weilharter) retrospektiv. Mit einer Grabkerze betritt sie die Klassenzimmerbühne, stellt sie an der Tafel ab und erzählt. Hier nämlich haben sie sich kennen gelernt, Hamlet und Ophelia. Zuerst hat sie ihn nicht mögen, den Neuen in der Klasse. Den Außenseiter, der so komisch redet. Der so in sich gekehrt ist. Der so abweisend ist. Stück für Stück aber findet sie Zugang zu Hamlet – und seine Geschichte wird auch ein Teil der ihren. Weilharter und Pannos sind als Himmelhochjauchzend und Zutodebetrübt ein eingespieltes Team. hamlet09

Autor Holger Schober hat die pubertären Anteile aus dem Original herausgeholt und in Schober-Manier verpackt. Regisseurin Dana Csapo überspitzt das noch einmal. Aus jugendlicher Perspektive, vor allem auch aus der heutigen, nimmt sich das auch alles ganz normal aus: der Vater stirbt. Die Mutter heiratet erneut, und dann auch noch den Onkel –  wer ist jetzt was? Vater-Onkel? Mutter-Tante? Und Hamlet? Stiefsohnneffe? Patchwork-Chaos at its best, und das auch noch mitten in der identitätskrisenphase Pubertät. Hamlet jedenfalls „kotzt das so richtig an“. Er reagiert, wie jeder im jugendlichen Publikum auch reagieren würde: Er ist zornig und verzweifelt. Er spinnt sich Theorien zurecht (Es war Mord!). Er hinterfragt die Beziehung zu seinem erfolgreichen Vater. Er sinnt auf Rache.

hamlet05Ein starkes Stück Klassenzimmertheater

„Hamlet Generation XYZ“ ist ein starkes Stück Klassenzimmertheater. Distanz ist hier nicht vorgesehen. Das Stück findet im Klassenzimmer statt, da wo sonst Mathe und Bio die Hauptrolle spielen. Die Hemmschwelle Theatersaal, die viele Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Schichten noch nie übertreten haben, existiert hier nicht und Stücke wie  „Hamlet Generation XYZ“ es ist, schlagen hier doppelt ein. Das sorgte im vergangenen Jahr auch für Aufsehen: „zu depressiv“ lautete das Urteil einer Schulinspektorin, die das Stück kurzerhand vom Spielplan nehmen wollte. Ein Hamlet, der nach dem Tod seines Vaters randaliert. Mord und Totschlag in der Schule. Suizid. Und dann auch noch rotzige Punkmusik, dass die Klassenzimmerwände wackeln – darf man das?

Foto: Wiener Klassenzimmertheater
Foto: Wiener Klassenzimmertheater

„Hamlet Generation XYZ“ hat in der Wiener Schulverwaltung eine kleine Debatte ausgelöst: Was darf und darf Theater nicht, was soll und soll Theater nicht? Und überhaupt: ist Shakespeare Kindern zumutbar? Dana Csapo, Leiterin des Wiener Klassenzimmertheaters hat inzwischen auch eine Ausbildung im Bereich Gewaltfreie Kommunikation abgeschlossen und versucht so den Bürokraten Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit ihrem Team bringt sie Shakespeare weiterhin in die Schulen. hamlet03Das theaterpädagogische Nachgespräch, das jeder Aufführung folgt, ist ohnehin seit jeher Teil des Konzepts – und dieses wird von den Jugendlichen nicht lediglich abgetan, sondern sogar gewünscht und mitgestaltet. Auch und gerade bei Hamlet. Jugendliche, die sich mit Shakespeares Helden identifizieren und mitreißen lassen – was kann man sich im Shakespeare-Jahr mehr wünschen?
Die Bürokraten und Schulpsychologen haben mittlerweile „Hamlet Generation XYZ“ unter die Lupe genommen und 400 Jahre Hamlet-Rezipienten dürfen aufatmen: Shakespeare schadet nicht. Auch nicht in einer Fassung von Holger Schober.

Der Text entstand für: www.kulturwoche.at

 

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