Plastik schlägt Wellen, im Meer und im Netz

Während Experten über Kunststoff forschen und referieren, versuchen „Ökofluencer“ im Internet zu mobilisieren.

Luoisa wollte ein Unterwasserfoto posten, „so wie es alle gerade haben“. Sie macht Urlaub auf Malta, traumhafte Kulisse, blaues Meer. Luoisa taucht ab, posiert, ihr Mann drückt auf den Auslöser. Als sie das Ergebnis sieht, ist sie enttäuscht: Zahllose Plastiksackerl versauen ihr das perfekte Instagram-Foto. „Zuerst dachte ich: Wie kriege ich den Müll vom Foto weg?“, gesteht die Influencerin auf Instagram.

275.000 Tonnen Plastik landen jedes Jahr im Meer, und das ist viel mehr als nur ein ästhetisches Problem: Der Mensch hat Plastik in seine Nahrungskette aufgenommen. In einer Pilotstudie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rund um Philipp Schwabl an der MedUni Wien wurden Stuhlproben von acht Probanden untersucht, die alle in Plastik verpackte Lebensmittel und Getränke aus PET-Flaschen konsumierten. Im Stuhl aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich Spuren von Mikroplastik (siehe FURCHE 03/2019). „Schluss mit dem Konsum für die Tonne“, schreibt die Süddeutsche in einem leidenschaftlichen Anti-Plastik-Plädoyer am 24. Februar diesen Jahres. „Warum die Plastikpanik unbegründet ist“, wollte Addendum in der Woche davor erklären. Die Debatte rund um das Plastik emotionalisiert extrem.

Kunstsstoffe sind schlag-,knitter-und reißfest, flexibel formbar, stabil, leicht, billig, korrosions- und witterungsresistent und – sie sind extrem haltbar und langlebig. Ihre Entwicklung war ursprünglich eine Erfolgsgeschichte. Anstoß dafür war eine Billardkugel: 1863 soll der amerikanische Spielsalonbesitzer und selbst leidenschaftliche Billardspieler Michael Phelan eine Belohnung in der Höhe von 10.000 Dollar für denjenigen ausgeschrieben haben, der eine Alternative für die bis dato aus Elfenbein produzierten Billardkugeln erfände. Elfenbein war teuer, knapp und nutzte sich im Saloongebrauch viel zu rasch ab. Dem Chemiker John Wesley Hyatt gelang wenige Jahre später schließlich die Herstellung des ersten thermoplastischen Kunststoffs, der nicht nur für Billardkugeln -sondern auch bald für die ersten künstlichen Gebisse Verwendung fand.

Aufruhr in den sozialen Medien

Der neue Stoff schlug ein: Die weltweite industrielle Großproduktion der Kunststoffe startete in den 1940er-Jahren. In den letzten 60 Jahren stieg sie von 1,7 Mio. Tonnen (1959) auf 280 Mio. Tonnen (2011) an, hält ein Bericht der Universität Wien fest. Heute werden mehr als 400 Tonnen Plastik pro Jahr produziert. Die Eigenschaften, für die Kunststoffe einst gefeiert wurden, vor allem die Korrosions-und Witterungsresistenz, werden uns heute zum Verhängnis. Der Erfolg von einst liegt in den Meeren von heute. Plastik gelangt dabei nicht nur durch achtlose Entsorgung in die Umwelt, sondern beispielsweise auch aus Waschvorgängen von Textilien. Die Fasern sind so klein, dass sie Kläranlagen gar nicht filtern können. Die genauen Wege des Plastiks untersuchen Gudrun Obersteiner vom Institut für Abfallwirtschaft der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU), die Leiterin des Forschungsprojekts „Makroplastik in der Donau“, sowie Erwin Binner, Experte für Deponien und Kompostieranlagen am selben Institut. Am 5. März werden sie gemeinsam mit Mediziner Philipp Schwabl die noch nicht vollständig erforschten Auswirkungen des Plastiks im Haus für Natur des Landesmuseums Niederösterreich diskutieren.

Während Expertinnen und Experten auf Podien über Plastik sprechen, haben Menschen wie Louisa ihre Plattform schon gefunden -im Internet. Sie warten nicht auf politische Veränderungen oder neue Studienergebnisse. Sie wollen handeln, sofort. Luoisas Taucherlebnis in Malta inspirierte sie dazu, sich auf ihrem Instagram-Account vermehrt Umweltthemen zu widmen. Und damit ist sie nicht allein. Sogenannte „Ökofluencer“ erobern derzeit das „Social Web“, vor allem auf der Fotoplattform Instagram, wo Emotionen die meiste Aufmerksamkeit bringen -und nichts emotionalisiert so sehr wie Plastikmüll im Urlaubsparadies.

„Ökofluencer“ stellen auf Instagram den dramatischen Bildern von verschmutzten Gewässern eine betont saubere, plastikfreie Ästhetik entgegen und setzen sich dadurch mitunter heftiger Kritik aus. Die Angriffe auf Greta Thunberg, die ein Foto von einer plastikverpackten Jause ins Netz stellte, hat man noch im Ohr. „Kommunizieren, dass man nicht perfekt ist, hilft“, sagt die Ökofluencerin Franzi Schädl, die seit 2015 ihren Fans Plastikvermeidung und nachhaltiges Leben ans Herz legt. – Und Louisa? Für sie war ihr Erlebnis auf Malta ein Grund, die Oberflächlichkeiten von Instagram zu durchbrechen. Nach einem Moment der Scham hat sie nicht den Müll vom Foto retuschiert, sondern den Strand aufgeräumt.

 

 

Plastik im Körper. Auslöser und Folgen Am 5. März ab 18.00 Uhr Podiumsdiskussion im Haus für Natur St. Pölten. Im Anschluss wird der Film „Plastic Planet“ gezeigt. http://www.museumnoe.at

Die Eigenschaften, für die Kunststoffe bei ihrer Entwicklung gefeiert wurden, vor allem die Korrosionsresistenz, werden uns heute zum Verhängnis: Der Erfolg von einst liegt in den Meeren von heute.

 

Der Artikel erschien erstmals in: Die Furche Nr. 09 / 2019 vom 28.02.2019 

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