Menschlichkeit ist eine Kunst

Foto: Ingo Sawilla
Foto: Ingo Sawilla

Nicht ob Theater politisch sein kann, ist heute die entscheidende Frage – sondern wie. Angesichts der Flüchtlingsströme und wachsender Fremdenfeindlichkeit beziehen immer mehr Theatermacher Stellung.

Wegen Verdacht auf „Beihilfe zum Verstoß gegen das  Aufenthaltsrecht für Ausländer“ ermittelt die Staatsanwaltschaft in Hamburg gegen die Intendantin der Kulturfabrik Kampnagel, Amelie Deuflhard. Im Rahmen des Kunstprojektes „ecoFavela Lampedusa-Nord“ hatte sie Massenunterkünfte in Frage gestellt und Lampedusa-Flüchtlingen „Kunstasyl“ gewährt. Angezeigt wurde Deuflhard von der Partei AfD (Alternative für Deutschland). In Dresden wiederum kämpfte jüngst der Leiter des Stadttheaters um die Aufführungsrechte für Michel Houellebecqs „Unterwerfung“: In einer Stadt, in der selbsternannte Retter des Abendlandes gegen Fremde hetzen, wollte der französische Verlag den Roman nicht auf die Bühne gebracht wissen.

Stellt man die Ertrinkenden, Verzweifelnden im Mittelmeer den Empörten oder Verhetzenden auf der Straße gegenüber ergibt sich ein doppelter Handlungsbedarf, nicht nur für Politik und Gesellschaft – sondern auch – oder vor allem? – für die Kunst. Nicht nur Pegida – „Wir sind das Volk!“ – zündelt gegenwärtig mit Ressentiments gegen Fremde. Flüchtlinge fordern indes das, was vielen Europäern in die Wiege gelegt worden ist: Sicherheit, Frieden und eine selbstbestimmte Zukunft und bezahlen dafür einen hohen Preis. Die schon fast wieder salonfähige  Ausländerfeindlichkeit auf der einen Seite und die Katastrophen vor den Toren Europas auf der anderen sind Tragödien ohne Katharsis. Nicht ob Theater politisch sein kann, ist heute die entscheidende Frage – sondern wie.

Plattform oder Player

Unter dem Eindruck der Ereignisse 2012 in Wien, als Flüchtlinge in der Votivkirche Schutz suchten, weitergereicht, in Schubhaft genommen, teilweise auch abgeschoben wurden, ist Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ entstanden, das vor Kurzem in Wien Premiere hatte. Zahlreiche andere Projekte in ganz Europa machen Geschichten sichtbar die sonst unsichtbar bleiben, verleihen jenen Stimme, die sonst keine haben.

In Österreich mit Flüchtlingen gearbeitet hat auch der Regisseur Michael Pöllmann. In der Produktion „Fremdenzimmer“, die vergangenen Winter Premiere hatte, bringt er Flüchtlinge und ihre Geschichten auf die Bühne, stellt vor, aber nie aus. Plattform zu bieten und politischer Player gleichzeitig zu sein, ist ein Kunststück, das eigentlich nicht scheitern darf: Pöllmann gelingt es. Über ein Jahr hat der Regisseur, gemeinsam mit dem Autor Flo Staffelmayr junge Flüchtlinge begleitet, ihnen zugehört, Zeit verbracht um dann aus ihrem kreativen Potential, ihren Geschichten einen Theaterabend zu entwickeln. Für Pöllmann ist Theater nicht nur Unterhaltung, sondern vor allem Ort der Begegnung, auch der ungeschönten. Theater kann den Zusehern helfen ihre Vorurteile gegen Flüchtlinge abzubauen und in Frage zu stellen. Das erfordert nicht nur Mut, sondern auch Geduld. Mit dem oft ungeklärten rechtlichen Status von Flüchtlingen ist es beispielsweise nur auf Umwegen möglich Theaterarbeit auch zu entgelten. Bei „Fremdenzimmer“ ist zumindest ein Verfahren mittlerweile abgeschlossen und Asyl erteilt worden. Der Status der Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg ist nach wie vor ungeklärt.

Theater als Identifikationsort

Debatten loszutreten ist die Aufgabe von Kunst. Mehr denn je ist Haltung gefragt, mehr denn je muss in Geschehen eingegriffen werden, mit dem klaren Ziel etwas zu ändern, an etwas zu rütteln, zu hinterfragen.

Das war das Fazit der Konferenz „Theater & Netz“, die am ersten Maiwochenende in Berlin nunmehr zum dritten Mal stattgefunden hat. Wie aktuell die dort diskutierte Frage nach politischem Handlungspielraum von Theater ist, war im Vorfeld nicht abzusehen: Die Nachricht von der Aufnahme des Ermittlungsverfahren erreichte Amelie Deuflhard beinahe am Podium – über die Medien.

Was aber kann Theater im europapolitischen Kontext wirklich leisten? Die Projekte, der jüngsten Vergangenheit sind modellhaft. Nicht unbedingt für eine neue Ästhetik, sondern vielmehr um gesellschaftliche Modelle durchzuspielen. Vor allem die Kulturfabrik Kampnagel ist da Vorreiter: durchdachte Unterbringung und Beschäftigung, hat „ecoFavela“ gezeigt, ist Basis für eine solidarische, freundschaftliche Nachbarschaft.
Theater muss aber auch einladen: dass Flüchtlinge Bedürfnis nach Kunst und Kultur haben, wird oft übersehen.

Die Theater der Gegenwart sind vielleicht die einzigen Orte an denen gesellschaftspolitische Diskurse noch geführt werden können, so die Teilnehmer der Konferenz „Theater & Netz“. Beschränkt sich das Publikum auch nur auf einen vergleichsweise kleinen Teil der Bevölkerung, so kann Theater dennoch Stellung beziehen, Identifikation bieten und Zeichen setzen. In Dresden, dem absurden Ausgangspunkt von Pegida steht  Widerstand auf dem  Spielplan. 

Pegida hat Misstrauen geschaffen und eine Wunde geschlagen, das Mittelmeer spült seine Toten hinein: Aufgabe der Theater wird sein, diese Wunde offenzuhalten.

 

Der Essay erschien im Mai 2015 in: Die Furche

Herzlichen Dank an Ingo Sawilla vom „Resi“, der mir für den Blog rasch und unkompliziert sein Foto der Regida-Aktion zu Verfügung gestellt hat, obwohl sein (wie immer wieder) beeindruckender Talk über die Möglichkeiten von Social Media & Theater bei der Konferenz in Berlin  – „Hängt politische Botschaften vors Haus!“ – in diesem Text gar keinen Platz gefunden hat. 

Die Caritas hat die Aktion #gegenunrecht gegen das „Massensterben im Mittelmeer“ gestartet. Hier gibt es Infos, wie man die Aktion unterstützen kann.

http://www.gegen-unrecht.at/
http://www.gegen-unrecht.at/

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