Mein Bruder, mein Bräutigam?

Wie real ist die Gefahr von ungewolltem Inzest bei Samenspenderkindern? Eine Recherche über „Donor Siblings“ aus den Tiefen und Untiefen der Reproduktionsmedizin.

Acht Kinder hat Christian, vier davon sind über eine Samenspende entstanden – mit der Bechermethode: „Die natürliche Methode ist mir da zu intim.“ Christian heißt in Wirklichkeit ganz anders. Dass er anonym bleibt, ist Bedingung für sein Telefonat mit der FURCHE. „Es gibt so viele Spinner. Ich will nicht, dass man meine Identität oder gar die von meinen Spenderkindern oder deren Mütter nachvollziehen kann.“ Auch das Land, in dem er lebt, sollen wir nicht erwähnen. Seine „Branche“ – andere sagen Schwarzmarkt – ist dort überschaubar. Christian betreibt eine Plattform im Internet, die Samenspender und Frauen mit Kinderwunsch zusammenbringt und deren Leistung er selbst schon vier Mal in Anspruch genommen hat. Kontakt hat er zu all seinen acht Kindern, aber nur sehr lose. Einmal hätten die acht Halbgeschwister einander kennengelernt, Interesse an intensiverem Kontakt hätten sie aber alle nicht, sagt Christian. Weder mit ihm, dem biologischen Vater, noch mit ihren „Donor Siblings“, also den Spendergeschwistern. Ob er je gefürchtet hat, dass sie einander vielleicht über den Weg laufen, sich ineinander verlieben und in eine unwissentlich inzestuöse Verbindung eingingen? Christian wehrt ab. Die Kinder würden viel zu weit verstreut leben.

Es ist ruhig, es ist privat

„Haben Sie Angst, unwissentlich eine romantische Beziehung mit jemandem einzugehen, der mit Ihnen verwandt ist?“ – Die Frage mit der Nummer 16 spricht aus, was viele Menschen assoziieren, wenn sie an Eizellen- oder Samenspenderkinder denken. Sie ist Teil eines Fragebogens, der vom Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz entwickelt wurde. Dieser richtet sich an Menschen, die durch Samenspende entstanden sind und mehr über ihre biologische Herkunft erfahren wollen. „Eizellenspende ist zwar erlaubt“, erklärt Andreas Obruca, Leiter der Kinderwunschklinik Goldenes Kreuz, „aber in der Praxis sehr selten“.

Die Spende von Eizellen ist im Gegensatz zur Samenspende sehr aufwendig. Eizellen-Spenderinnen kommen meist aus der eigenen Familie. Oft wäre es die Schwester, die ihre Eizellen für eine künstliche Befruchtung zur Verfügung stellen würde. Anders bei der Samenspende: „Besetzt“ sagt das Schild, das auf der Tür mit der Aufschrift „Samenabgabe“ baumelt, während wir die Räumlichkeiten des Kinderwunschzentrums Goldenes Kreuz in der Lazarettgasse in Wien besichtigen. Im Zimmer nebenan sind die Ergebnisse schon in Reagenzgläsern sortiert. Privatsphäre ist wichtig, wir werden ermahnt, keine Fotos zu machen, auf dem die Namen erkennbar sind. Das Wartezimmer im Kinderwunschzentrum ist voll, rote Stöckelschuhe, nackte Knöchel in Chinohosen sieht man durch die angelehnte Türe blitzen. Es ist sehr ruhig. Von der Baustelle im Stiegenhaus merkt man hier nichts. Von der Anspannung, unter der viele Frauen hier stehen, auch nicht.

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Besetzt! – Privatsphäre ist wichtig im Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz – für Wunschkinderpaare wie für die Samenspender.

Unerfüllter Kinderwunsch kann viele Ursachen haben, das wird in den ersten Gesprächen und Untersuchungen abgeklärt. Ausgeschlossen von künstlicher Befruchtung in Österreich sind alleinstehende Frauen. Sie werden meistens ins Ausland verwiesen – so sie sich Reise und Behandlungskosten leisten können.

Das dürfte auch mit ein Grund sein, dass Spermaplattformen, wie die von Christian, im Web noch immer existieren. Die meisten, das verrät schon ihr Design, stammen aus Zeiten, wo legale künstliche Befruchtung noch erschwert war. „Der ‚Schwarzmarkt‘ ist relativ groß“, bestätigt Wilfried Feichtinger, Gründer des Wunschbaby Institut Feichtinger mit Standorten in Wien und Baden und fügt hinzu: „Es gibt natürlich keine Zahlen. Aber es gibt Gerüchte, dass die Zahl der Frauen, die diesen Weg wählen, größer ist, als jene, die sich für ein reproduktionsmedizinisches Institut entscheiden.“ Allgemein würde gelten, so Feichtinger: Je strenger die Rechtslage, desto eher weichen Frauen mit Kinderwunsch auf diese Wege aus. Das birgt Risiken: „Die Kontrolle der Empfängerin ist dabei null“, sagt Feichtinger. Ob der Spender „beispielsweise Hepatitis hat oder ob es Erbkrankheiten in seiner Familie gibt“ könne die Empfängerin bei Spermaspenden aus dem Web nicht wissen – und: das Auskunftsrecht über seine Herkunft ist für das Kind nicht gewährleistet.

Ab dem Alter von 14 Jahren haben Kinder in Österreich, die aus Eizellen- oder Samenspende entstanden sind, das Recht, ihre biologische Herkunft zu erfahren. „Zu spät“, findet der Katholische Familienverband, der in einer Presseaussendung Mitte April neben einer Herabsetzung der Altersgrenze für die Auskunftspflicht vor allem ein zentrales Spendenregister bei Eizellen- und Samenspenden fordert – aktuell werden Spermaspenden nur im jeweiligen Institut registriert. Diese Forderung findet man im Kinderwunschzentrum prinzipiell gut: „Die Daten gibt es ja“, sagt Obruca, „sie müssten doch nur verknüpft werden“.

Streng geregelt

Auf die Information, ob es Geschwisterkinder gibt, haben Spenderkinder allerdings kein Recht. Im Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz versucht man trotzdem, diesem möglichen Wunsch zu entsprechen. Möchte ein Spenderkind Auskunft über den Samenspender-Vater erhalten, kann es auch den Wunsch nach Kontakt zu möglichen Halbgeschwistern deponieren. Ein Treffen kann freilich erst dann zustande kommen, wenn auch diese sich auf die Suche nach ihrer genetischen Herkunft machen und ebenfalls den Wunsch nach Halbgeschwistern äußern. Wie viele Kinder bisher von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht haben? „Eines“, sagt Obruca.

Mit dem Mythos von einer steigenden Inzestgefahr durch die Fortschritte der Reproduktionsmedizin räumen die Mediziner beider Kliniken auf und verweisen unabhängig voneinander auf die sogenannten „Kuckuckskinder“, also Kinder, die mit einem Vater aufwachsen, der gar nicht weiß, dass er nicht der leibliche Vater ist. Fünf bis acht Prozent aller Geburten dürften Kuckuckskinder sein, vermutet Obruca. „Samenspenderkinder, das ist dagegen immer noch ein Minderheitenprogramm“, sagt Feichtinger. Er gibt zu bedenken: Man kann die Eltern nicht zwingen, den Kindern Auskunft über ihre Herkunft zu geben.

Eine Studie von Pim M. W. Jansses, Researcher am Krankenhaus Rijnstate in den Niederlanden, belegt, dass die Chancen auf eine blutsverwandte Beziehung für ein Spenderkind minimal sind – auch wenn die Regelung weniger streng wäre, als es in Österreich der Fall ist. Würde ein Spender demnach 10 Kinder zeugen, läge die Chance, einen blutsverwandten Partner zu finden, bei 0,011 %. Selbst wenn mit dem Samen eines Spenders 200 Kinder gezeugt wurden, läge die Wahrscheinlichkeit immer noch bei 0,201 %- das entsprächen 0,418 blutsverwandten Beziehungen. Die Chance, dass sich der Bräutigam als Halbbruder entpuppt, ist also gering. Und 153 unbekannte Halbgeschwister bleiben meist Stoff aus dem die Filme sind: Maximal drei Familien dürfen in Österreich den Samen eines Spenders verwenden, zudem darf nur an einer Klinik gespendet werden. Dass Familien mehrere Kinder vom selben Spender haben, ist nicht unüblich, die Halbgeschwister wachsen so auch als Geschwister auf. „Samenspenderkinder sind immer Wunschkinder. Sie sind für ihre Familien das Größte“, erinnert uns Feichtinger am Ende des Gesprächs.

Und Christian? Auf ein Samenspender-Patchwork-Familienleben legen seine Kinder wenig wert. Zu Weihnachten schicken ihre Mütter Amazon-Links. Und Christian spendet.

 

Der Artikel erschien erstmals in: Die Furche Nr. 17 / 2019 vom 25.04.2019 - verfasst von Anne Aschenbrenner und Davina Brunnbauer

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