In Zeiten von Corona gibt es Unterricht nur noch online. Ob das gutgeht? Ein Interview mit E-Learning-Expertin Gerlinde Schwabl über Chancen und Grenzen digitalisierter (hoher) Schulen.
Seit Jahrzehnten ist von der „Digitalisierung der Schule“ die Rede – in der Theorie. In der Praxis gab es oft prinzipielle Reserven sowie mangelnde Ressourcen und Kompetenz. Gerlinde Schwabl, Lehrende am neu gegründeten Institut für Digitalisierung der PH Tirol, beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung synchroner Online-Lern- und Lehrarrangements, an denen nun großes Interesse herrscht. Die FURCHE hat mit ihr in einem „virtuellen Raum“ – so heißt im Fachjargon ein VideoTelefonat auf „Zoom“ (einem Programm für Internet-Meetings) – über digitales Lernen an Schulen und Unis gesprochen.
Frau Schwabl, Sie arbeiten an der PH Tirol mit „Webinaren“, also Seminaren per Video – und werden so auch trotz der Schließung der analogen Lehrsäle weiterarbeiten. Könnte der Lehrbetrieb an Unis oder Schulen nach diesem Vorbild weitergehen?
Gerlinde Schwabl: Dass alle Webinare machen müssen, kann man so pauschal nicht sagen. Vieles ist möglich. Aber die Studierenden müssen flexibel sein. Es geht darum, sie zu schulen und zu unterstützen – und auch eine Spur Gelassenheit mitzugeben. Ich habe soeben ein Webinar gehalten, an dem 150 Studierende teilgenommen haben. Ob diese Arbeitsweise auf Dauer für alle gut ist, müssen wir aber noch sehen.
Auch für die „Digital Natives“ braucht es also Schulungen?
Schwabl: Es gibt natürlich technikaffine Studierende. Aber es ist nicht so, dass alle jungen Menschen das beherrschen. Wichtig ist vor allem, das Verhalten im virtuellen Lernraum zu thematisieren. Das sind ganz banale Dinge: Etwa darauf zu achten, was im Hintergrund zu sehen ist, bevor man das Video zuschaltet – man holt die anderen ja in sein Wohnzimmer. Es muss auch klar sein, dass ich nicht einfach drauflos reden kann, wenn ich mit hundert Personen im virtuellen Raum zusammentreffe.
Innerhalb kürzester Zeit müssen Lehrkräfte an Schulen und Unis nun ihre Unterrichtsmethode völlig umstellen. Entsprechend groß ist die Unsicherheit. Wie unterrichtet man am besten digital?
Schwabl: Es gibt nicht die eine richtige Art zu unterrichten, das gilt auch für das E-Learning. Man muss sich die Zielgruppe ansehen und überlegen: Welchen Lehrstil habe ich? Wenn ich mich zum Beispiel in sozialen Medien nicht gerne zeige, ist ein Webinar vielleicht nicht das Beste für mich. Je länger diese Phase nun dauern wird, desto abwechslungsreicher sollten wir das eine oder andere gestalten. Nur PDFs auf Lernplattformen hochladen oder Arbeitsaufträge per Mail aufgeben und einsammeln, wird dann eintönig. Klar ist aber auch: Man kann nicht innerhalb von zwei Tagen die Kompetenzen erwerben, um ordentlich E-Learning zu betreiben. Es geht eher darum, einfach einmal anzufangen.
Wie E-Learning-fit sind die Lehrerinnen und Lehrer aus Ihrer Sicht?
Schwabl: Das hängt stark vom Schulstandort ab. So genannte „eEducation-Schulen“ gehen diesen Weg schon lange und sind schon weit. An diesen Bildungsstätten gibt es Personen, die gerade in diesen Tagen wirklich Unmenschliches leisten. Da hat auch das Kollegium ein gewisses Knowhow. Demgegenüber gibt es aber auch Schulstandorte, an denen E-Learning noch nicht gelebt wird. Da wird vermutlich das E-Mail das vorrangig eingesetzte Kommunikationstool werden.
„Es geht da auch um banale Dinge, etwa darauf zu achten, was im Hintergrund zu sehen ist, bevor man das Video zuschaltet. Man holt die anderen ja in sein Wohnzimmer.“
Viele Kinder haben vor der Schulschließung vor allem Papierarbeitsblätter nach Hause mitbekommen.
Schwabl: Ja, meine Söhne auch, haufenweise. Dann denke ich mir: Bitte, liebe Lehrpersonen, Maß halten. Mein Sohn kommt mit den Arbeitsaufgaben heim und sagt: „Ich schaffe das nicht!“ Und es liegt dann an mir, ihm Mut zu machen. Da sind die Eltern ziemlich gefragt.
Nicht alle Kinder haben derlei Unterstützung zu Hause.
Schwabl: Die älteren Schülerinnen und Schüler schaffen das schon. Bei der Sekundarstufe 1 und der Elementarstufe habe ich aber Bauchweh. Jüngere Kinder brauchen die Lehrperson noch sehr dringend.
Wie kann so ein digitaler Unterricht in der Volksschule aussehen? Könnten Sie eine Utopie entwerfen mit einer E-Learning-kundigen Lehrerin?
Schwabl: Ich würde gar nicht von einer Utopie ausgehen. Ich behaupte, das kann jeder
schaffen, der ein Notebook und eine Internetverbindung besitzt – und eventuell eine Webcam. Aber dieses „Social Distancing“, das wir alle betreiben sollen, wird schwierig, weil – wie gesagt – die Lehrperson gerade in der Volksschule noch sehr wichtig ist. Umso bedeutsamer wäre es, dass man sich etwa in der Früh – so, wie wir das gerade machen – trifft und sich ausmacht, was an diesem Tag geschafft werden kann. Das gibt den Kindern das Gefühl, die Klassenlehrerin ist für mich da. Auch kann man sich darüber austauschen, wenn eine Aufgabe mal nicht geklappt hat oder man das Pensum am Vortag nicht geschafft hat. So etwas ist mit Videokonferenztools möglich. Wir nutzen „Zoom“. Dafür brauchen die Kinder keinen Account, sondern bekommen einen Link. Den kann die Lehrerin verschicken und schon kann es losgehen.
Kann ein Gemeinschaftsgefühl Ihrer Erfahrung nach auch via synchroner Lernarrangements geschaffen werden?
Schwabl: Ja, Videokonferenztools dienen vor allem der Vernetzung. Und sich live zu vernetzen, wird auch im schulischen Bereich notwendig werden. Die Lernplattformen sind toll, keine Frage. Ich glaube aber, dass der soziale Austausch, den Videokonferenzen ermöglichen, immer wichtiger wird. Auch für die Sekundarstufe 1 und den Elementarbereich.
Wie können solche Lernformen flächendeckend implementiert werden?
Schwabl: Wenn Interesse da ist, kann man das sehr rasch implementieren. Ich habe im virtuellen Lernraum einige Kollegen getroffen, die vor einem Monat noch gesagt haben: Nein, das ist nicht meins. Aber jetzt ist die Situation eine andere. Alle bemühen sich und wir haben in drei Tagen 70 Dozierende fortgebildet, wir haben viele Gruppen von Studierenden E-Learning-fit gemacht, die ihrerseits Lehrpersonen unterstützen. Und wenn ich sehe, was gerade an den Schulstandorten passiert: Hut ab! Die Digitalisierung wird innerhalb von wenigen Tagen unglaublich vorangetrieben.
Doch was kommt in puncto E-Learning noch auf uns zu, wenn die Schule nun länger ausfällt?
Schwabl: Dann muss es regelmäßige Inputs geben. Man kann über Videokonferenztools auch einen Vortrag halten und mit den Schülern etwas erarbeiten. Die Technik würde das zulassen.
Und was ist eigentlich mit Pausen? Geht das auch online?
Schwabl: Ja. Bei „Zoom“ heißt das „Break Out Rooms“. Andere Software hat das auch. Technisch ist das kein Problem. Man muss nämlich berücksichtigen: Online-Meetings sind extrem ermüdend, vierzig Minuten Online-Lehre sind viel anstrengender als vierzig Minuten Präsenzunterricht. Das muss man immer bedenken.
Gerlinde Schwabl lehrt am Institut für Digitalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Qualitätsentwicklung der Pädagogischen Hochschule Tirol, das erst im Februar gegründet wurde.
Der Artikel erschien erstmals in: Die Furche vom 26.03.2020. Das Gespräch führe Anne Aschenbrenner.
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