Deutsche Mythen in Holz geschnitten

Madame de Staël: de l'Allemagne,  © Anselm Kiefer und Charles Duprat
Madame de Staël: de l’Allemagne, © Anselm Kiefer und Charles Duprat

Er selbst zählt zu den Stars im Kunstbetrieb, seine Holzschnitte beeindrucken vor allem in ihrer Monumentalität: Die Albertina widmet Anselm Kiefer eine Ausstellung und zeigt mit dessen Arbeiten Vielschichtigkeit und Verflechtungen in Kiefers Werken.

Hortus Conclusus © Anselm Kiefer und Charles Duprat
Hortus Conclusus © Anselm Kiefer und Charles Duprat

Treffen sich ein Künstler und ein Physiker in der Albertina und unterhalten sich über Quantenphysik. Sagt der Künstler: „Wie kann ich das, was du mir sagst auf die Leinwand bringen?“. Sagt der Physiker: „Das ist dein Problem.“ Was sich wie der Beginn eines Witzes anhört ist einer von vielen Schlagfertigkeiten aus dem „Artist Talk“, der die Ausstellung zu Anselm Kiefers Holzschnitten eröffnet hat. Mit seinem entwaffnenden Charme und der Offenherzigkeit eines Kindes versuchte der 71-jährige Kiefer Physik für sich fruchtbar zu machen und gab, gespiegelt durch das intellektuelle Gegenüber, den Quantenphysiker Anton Zeilinger, Einblick in seine Arbeitsweise. Den Gesprächspartner beim „Artist Talk“ durfte sich der Künstler wünschen. Gewünscht hat sich Kiefer unlängst auch eine Retrospektive im Centre Pompidou, und die Holzschnitt-Ausstellung in der Albertina, die natürlich auch.

Anselm Kiefer zählt neben Georg Baselitz zu den großen Stars im Kunstbetrieb. Als deutscher „Nationalmaler wird er gehassliebt, verteufelt und gehypt. Sein Foto hat man im Rücken, wenn man die Rolltreppe zur aktuellen Ausstellung im Untergeschoß der Albertina hinabfährt, Anselm Kiefer ist es zu dem man aufschauen muss, wenn man die Ausstellung verlässt. Blendet man den Star vorm Werk aus, so bleibt immer noch Monumentales übrig. Seine Holzschnitte hängen nun in der Albertina. Diese sind so groß, dass man nicht weiß, näher heran oder weiter weg? (Und kindlich gefragt: Wie bekommt man solche Formate ins Museum hinein?) Manch ein Besucher kniet sich hin, betrachtet das Werk von unten, manch ein rosa Hütchen tappt ganz nah heran – das macht sich gut vor der riesengroßen schwarz-weißen Kunst. Kiefers Werk verschlingt die Besucher. Alle.

Ein Meister der Intertextualität

Brünhilde - Grane, © Anselm Kiefer und The Sonnabend Collection and Antonio Homem
Brünhilde – Grane, © Anselm Kiefer und The Sonnabend Collection and Antonio Homem

Schwarz-weiß sind die Bilder gedruckt, geschnitten in Holz, mit Worten, mit Zitaten versehen, viele als Collage weiterbearbeitet, aufgehängt oder als frauhohes Leporello aufgestellt, von einem Künstler, der sein Bild auch einmal im Regen stehen lässt, der die Ordnung braucht und das Chaos sucht. Die Collagen entstehen nicht nur im Material – mit Schellack sind die Arbeiten schichtweise bearbeitet – Anselm Kiefer ist Meister der Intertextualität: Historische Anspielungen verwebt er mit literarischen Zitaten von Paul Celan bis zur Kaiserin Sisi, hinter seinen Arbeiten steckt ein Wahnsinns-(Wort)-Geflecht. Bei den Holzschnitten, so also in der Albertina, ist es vor allem Richard Wagner, der die Hand ausstreckt und sie dem Wagner im Nachbar-Kunstwerk reicht – in der Serie „Brünhilde- Grane“ ebenso wie aus den Werken zum Rhein. Für nationale Ideologien missbrauchte Erzählungen und Geschichten, wie Nibelungenlied oder Hermannsschlacht, sind der Stoff, aus dem Kiefers Holzschnitte sind – kombiniert mit unzähligen Anspielungen, versteckt im Werk selbst, im Nachbarwerk, im gesamten Ouvre. Und doch steht jede Arbeit formal und inhaltlich für sich allein.

Die Rheintöchter, © Anselm Kiefer und Albertina, Wien
Die Rheintöchter, © Anselm Kiefer und Albertina, Wien

Der Rhein wird zum kleinsten gemeinsamen Nenner einer kulturhistorischen und politischen Geschichte und Kiefers eigener Biografie: Als Grenze hat ihn der in Donaueschingen aufgewachsene Kiefer als Kind nicht wahrgenommen, hatte überhaupt keine Vorstellung von Grenzen oder „von dem Land, das da Frankreich hieß. Es waren Reihen von Pappeln, Anfänge von Straßen.“ Es ist der kindliche Blick, den Anselm Kiefer für sich beansprucht, eine Haltung, die man einnehmen muss, weil, so der Künstler, „die moralischen Vorstellungen so rigigde sind, dass sie nicht mehr funktionieren“.

In „Wege der Weltweisheit“ kombiniert Kiefer die Hermansschlacht mit dem Who is Who der im Nationalsozialismus missbrauchten Schriftsteller und Künstler des 20. Jahrhunderts. „Ist das für die Jungen noch relevant?“, fragt der Physiker. „Ja“, sagt der Künstler, „denn Geschichte kann sich ja wiederholen.“ – Kiefers Holzschnitte soll man sich nicht entgehen lassen. Den „Artist Talk“ auch nicht: Er ist auf der Website der Albertina nachzuhören.

Der Text erschien im April 2016 in: Die Furche

Herzlichen Dank der weltbesten Anke von Heyl, die auf all meine Fragen zu Kunst und Künstlern stets eine gescheite Antwort hat.

2 Gedanken zu “Deutsche Mythen in Holz geschnitten

  1. Liebe Anne,

    ein schöner Text und ich wünschte, ich könnte die Ausstellung auch noch sehen! Aber ich schaffe es diesen Sommer nicht mehr nach Wien :-(
    Umso schöner ist’s, wenn ich wenigstens über deinen Text ein bisschen was mitbekomme.

    Herzliche Grüße aus dem Rheinland an die schöne Donau
    Anke

    1. Liebe Anke,
      dankeschön! Ich werd mit dem nigelnagelneuen „kulturfritzi“ – Snapchat-Account auch noch einen Snap-Rundgang machen! Ich geb dir dann auf Twitter Bescheid! Tausend Grüße aus Wien! A.

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