Schlaf-Apps versprechen die ultimative Selbstverbesserung. Ein Selbstversuch mit Überlegungen zur Wachsamkeit.
Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie morgens aufwachen und so richtig gut ausgeschlafen sind? Nun, ich nicht. Deshalb habe ich im Jänner 2018 begonnen, meinen Schlaf aufzuzeichnen. Ob ich mein Schlafverhalten effizienter gestalten könnte? Würde es mich produktiver machen?
Schlaftracking-Apps basieren auf dem Prinzip der Bewegungsmessung. Auf der Smartwatch installiert, können sie -weil am Handgelenk getragen -neben der Körperbewegung auch den Puls aufzeichnen. Wird die App aber nur am Smartphone installiert, erfolgt die Messung ausschließlich über die Bewegung, die die Sensoren über die Matratze wahrnehmen und ist daher nur für Alleineschläfer geeignet. Aus den Bewegungen schließt die App auf die Schlafphasen und die Schlafqualität, nach dem Aufwachen werden die Daten sofort in bunte Statistiken übersetzt. „Diese App ist kein medizinisches Gerät“, warnt das gut versteckte Kleingedruckte der App, die meinen Schlaf optimieren möchte und gleichzeitig sagt: Sie solle nicht zur Diagnose, Behandlung oder Vermeidung von Schlafkrankheiten verwendet werden. Ich bin also ein Lifestyle-Opfer, hurra.
Überwachung light
5. Jänner 2018. Ich habe mir „Sleep better“ von Adidas auf mein Smartphone geladen, über mein Schlafverhalten weiß ich zu dem Zeitpunkt nichts. Bevor ich schlafen gehe, versuche ich mich an die üblichen Schlaf-Empfehlungen von Experten zu halten: kein Alkohol, kein Koffein. Der Tag war stressig. Ich habe spät gegessen. All das fragt mich die App. Ich könnte meine Aufzeichnungen mit „Apple Health“ koppeln, einer auf dem iPhone standardmäßig installierten Software, in der ich meine gesamten Gesundheitsdaten abspeichern könnte und die tagsüber meine Bewegung trackt. Ich wähle die „Überwachung light“. Acht Stunden und 41 Minuten verbringe ich im Bett. 26 Prozent davon schlafend.
Die meisten der Tracking-Apps, die es auch für Sport oder Ernährung gibt, sind in einer minimalen Version kostenlos, Zusatzfunktionen hat die Premiumversion. Die Zusatzfunktionen der Schlaftracker beinhalten oft detailliertere Statistiken oder versprechen „smartes Aufwachen“, also das Wecken im günstigen Moment des Schlafzyklusʼ.
21. Februar 2018: Meine Nacht dauert 5 Stunden und 10 Minuten. Es sollte meine kürzeste im Bett verbrachte Nacht 2018 werden, 80 Prozent davon verbringe ich schlafend. Der Experte nennt das Verhalten, rasch einzuschlafen, „Schlafdruck“. Die App macht einen anderen Druck als der Experte das meint: „Schlaf endlich, schlaf“, scheint mir der Screen zuzublinken.
Kontrolle ist gut?
Das Tracking ist Teil der Quantified Self-Bewegung. Das Erfassen von personenbezogenen Daten zur Selbstoptimierung ist dabei immer das Ziel, die Wege dahin sind unterschiedlich: So sind oft Tagebücher oder Tabellenkalkulationsprogramme in die Apps integriert, die die User animieren sollen, manuell Informationen festzuhalten. Die meisten Tracking-Apps verwenden zusätzlich „Vitalitätssensoren“, die Bewegung oder Puls messen. Dazu gehören auch die beliebten Schrittezähler oder eben Schlaf-Apps.
28. März 2018. Ich verbringe 6.26 Stunden im Bett. Kein Schlafdruck weit und breit. „Sleep Better“ macht mich grantig. Inspiriert von Professor Tauss lade ich mir die Medidations-App „7Minds“ auf mein Handy. „Schön, dass du wieder da bist, Anne“ erinnert sie mich, da ich sie schon einmal heruntergeladen hatte. Statt zu schlafen, lese ich die Datenschutzgrundverordnung in der Originalfassung. Die App trackt: Die Schlafeffizienz liegt bei 26 Prozent.
Tracking-Apps zielen auf die Selbstmotivation ab, über das Bewusstmachen von „Fehlverhalten“ soll Veränderung herbeigeführt werden. Der Schlaf wird zur Leistung. Im Zuge meiner Recherchen entdecke ich „Pillow“: Die ultimative Selbstoptimierungs-Schlaftracking-App zeichnet neben der Bewegung auch die Umgebungsgeräusche auf, Schlafgeräusche eingeschlossen. Das ist so gruselig, dass ich es ausprobiere. Für läppische 4,99 Euro darf ich auf meine Daten, die die App aufzeichnet, auch zugreifen. Was ich letzte Nacht im Schlaf gesagt habe? Ich wünschte es wäre „Seid wachsam!“ Mit dem Download der Apps habe ich die Anbieter berechtigt, alle meine Daten an Dritte weiterzugeben. Selbst-Kontrolle sieht anders aus. Für 2019 habe ich mir einen analogen Schlafbegleiter ausgesucht, den ich aus Studienzeiten kenne: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Ich bin schon auf Seite 12.
Der Artikel erschien erstmals in: Die Furche Nr. 07/ 2019 vom 14.02.2019
Illustration von Rainer Messerklinger